3000 Familien in Haßloch dürfen als erste neue Erzeugnisse kaufen - ein Dorf an der Weinstraße entscheidet darüber, ob diese bundesweit auf den Markt kommen.

Saumagen mit Kraut wird von der Kundschaft gern gewählt, ebenso kleine Rippchen und Bauernfrühstück. Aber auch ohne deftige Kost, nur mit einem gespritzten Wein oder einem Radler (Alsterwasser) auf dem Holztisch, lassen sich auf der Terrasse des Restaurants "Pfälzer Buwe" im Herzen Haßlochs vortrefflich volkskundliche Studien treiben. Wer von den Menschen auf dem Marktplatz kommt dem Bild des typischen Deutschen besonders nahe? Sieht alles recht normal aus, was sich auf dem Kopfsteinpflaster in dem beschaulichen Dorf am Rande der Weinstraße so abspielt.

Genau so soll es sein! "Auf den Durchschnitt kommt es an", heißt es in der Zentrale der GfK-Gruppe in Nürnberg zu diesem Thema. Die Gesellschaft, weltweit die Nummer fünf der Marktforschungsunternehmen, hat den kleinen Ort in Rheinland-Pfalz für ein hierzulande einmaliges Testprojekt ausgewählt: Am Beispiel Haßlochs wird das Konsumverhalten der Deutschen untersucht. Große Firmen überprüfen hier ihre neuen Produkte auf Markttauglichkeit. Motto: Lieber eine stolze Summe (über deren Höhe vertraglich Stillschweigen vereinbart ist) an den Marktforscher zahlen als bundesweit in den Regalen stehen zu bleiben und finanziell baden zu gehen. Seit mehr als 20 Jahren wird das so gemacht, mit zunehmender technischer Perfektion. Die Ergebnisse des Feldversuchs haben Konsequenzen für alle Bundesländer: Was in dem Dorf in der Oberpfalz gut ankommt, wird bald überall zu kaufen sein.

Auserkoren wurde die von rund 212 Sonnentagen im Jahr gesegnete Ortschaft mit den schönen Fachwerkhäusern ob ihrer Besonderheit, dass eben wenig besonders ist. Durchschnitt pur. Soziodemographisch spiegelt Haßloch den deutschen Durchschnitt nahezu perfekt wider. Haushaltsgrößen, Singlequoten, Arbeitslosigkeit und Kaufkraft sind im Kleinen Beispiel für das ganze Land. Wichtig für die empirischen Feldversuche ist zudem eine gute Abdeckung des Ortes mit Geschäften jeglicher Art. Sprich: Wer sich für den täglichen Bedarf eindecken will, braucht Haßloch nicht zu verlassen. Bei der Wahl Mitte der 80er-Jahre war auch eine hohe Ausstattung der Gegend mit Kabelfernsehen bedeutsam - und ein klein bisschen Helmut Kohls Wohnort in der Nachbarschaft ...

3500 der insgesamt 10 500 Haßlocher Haushalte machen mit; die Teilnahme ist freiwillig und nur geringfügig dotiert. Zuschüsse fürs Kabelfernsehen, regelmäßig die "Hörzu", gelegentliche Teilnahme an speziellen Gewinnspielen - das war's. Hinzu kommt das interessante Gefühl, Testperson von entscheidender Bedeutung zu sein. Tatsächlich machen sich die Profis viel Mühe mit ihren Testhaushalten. Die auserwählten Familien wissen zwar von ihrer Funktion, dürfen jedoch auf keinen Fall die Produkte kennen, um die es geht. Dabei ist eine hohe Geheimhaltungsstufe angesagt. Welches Unternehmen gibt schon gerne preis, mit welchem Artikel es gescheitert ist. Immerhin gut zwei Drittel der getesteten Produkte können sich auf dem Markt letztlich nicht durchsetzen.

Helfer bei der Suche nach dem Musterdeutschen sind 15 Geschäfte im Ort, darunter Real und Penny, Lidl und Schlecker. Aldi ziert sich, wird erzählt. Die Testpersonen kaufen genauso ein wie jedermann - mit Barzahlung oder ohne. Einzige Ausnahme: Zum Schluss zücken sie eine Chipkarte, die an der Kasse durch einen Scanner gezogen wird. Das war's. Die Daten laufen zur Auswertung in Nürnberg auf.

Und wieso wissen die Probanden nicht, welcher Artikel exklusiv für Testzwecke produziert wurde, anderswo in Deutschland also gar nicht angeboten wird? Weil die Täuschung nahezu perfekt ist. Denn das alltägliche Leben der Testgemeinde besteht aus einer Serie raffinierter Tarnmanöver. Beispiel eins ist die zum Kabelfernsehen gereichte Programmzeitschrift. Diese enthält Anzeigen, die exklusiv für Haßloch gestaltet und gedruckt werden. "Unsere Testkäufer sollen nicht zwischen echt und getürkt unterscheiden können", sagt eine Mitarbeiterin des Forschungsinstituts. Wer sich die Mühe macht und eine Hamburger Illustrierte neben ein Haßlocher Exemplar legt, kann Unterschiede feststellen. Manche Produkte werden bei uns im Norden nie angeboten, andere bald neu im Sortiment sein - oft begleitet von massivem Werberummel. Mehrere Hundert verschiedene Artikel wurden bisher in Haßloch getestet. Dabei waren unter anderem Bahlsen, Bayer, Kellogg's, Iglo und Storck.

Damit die virtuelle Warenwelt komplett ist, wird sogar das Fernsehen manipuliert, ein spezielles Werbeprogramm gemixt. Die eigens gedrehten Spots sind nicht von jenen zu unterscheiden, die Rest-Deutschland sieht. So wird untersucht, welches Produkt wie ankommt - mit oder ohne Werbung. Je unauffälliger die Tricks, desto besser für das Ergebnis. Zwischen acht und zwölf Wochen dauert ein Feldversuch. Danach sind die Marketingstrategen klüger. Was in Haßloch gut ankommt, hat in ganz Deutschland eine gute Chance. Auch wenn es sich nicht um Saumagen dreht.