Gute Familienromane kommen derzeit aus den USA. Autoren wie Tom Wolfe, Matthew Sharpe und Adam Langer entwerfen eingängige Porträts: absurd, verstörend und warmherzig.

Amerikanische Autoren können's einfach besser. Familiengeschichten bilden seit der Erfindung des Romans vor 200 Jahren das zentrale Thema fast aller bedeutenden Prosa. Im 19. und 20. Jahrhundert haben uns die Russen, Engländer und Franzosen die wichtigsten Romane der Weltliteratur geschenkt. Seit einigen Jahrzehnten tun es die Amerikaner - aus Nord wie Süd.

Zur Generation der jüngeren US-Autoren mit aufregenden Familienromanen zählen Adam Langer und Matthew Sharpe. Beide haben einen neuen Titel auf dem deutschen Buchmarkt, der von verrückten, verzweifelten, ambitionierten oder komischen Familien erzählt. Und das jeweils so, daß Langers "Crossing California" und Sharpes "Eine amerikanische Familie" nichts beschönigen. Aber sie spiegeln auch nicht nur den Alltag wider, der sich, wie in allen westlichen Gesellschaften, aus Müttern und Vätern mit Ehe-, Kindern mit Schulproblemen, der Intensität von Freundschaften oder einer nicht planbaren Zukunft beschäftigt. Langer wie Sharpe führen an skurrilen Einzelporträts vor, wie man Widrigkeiten oder Zufällen begegnet und dabei dem Leben neue Erfahrungen abgewinnt. Es sind also im besten Sinne Entwicklungsromane.

Die Teenager, die in beiden Romanen im Mittelpunkt stehen, suchen Orientierung, einen Platz im Leben und verlaufen sich dabei auch in Sackgassen. Chris, in der "Amerikanischen Familie", ist 16. Sein alleinstehender Vater hat aus Versehen zwei unverträgliche Antidepressiva vermischt und liegt nun fast gänzlich weggetreten im Krankenhaus. Seine jüdische Schwester sucht Christus als Sinnstifter und trifft auf Chris' Freund, von dem sie schwanger wird, seine Mutter beginnt ein Verhältnis mit dem Vater der Ärztin ihres Ex-Mannes. Wie diese verwirrte Familie da durchkommt, beschreibt Sharpe teils ironisch, teils warm und mit zielgenauem Blick auf das Konsumverhalten und den zwischenmenschlichen Umgang im heutigen Amerika. Jedenfalls liest man mit Vergnügen von all den Turbulenzen und Möglichkeiten, in denen immer auch die Chance auf Nähe und Zärtlichkeit liegt.

Auch Adam Langer zeichnet mit zehn Ausschnitten aus dem Leben von Menschen in Chicago einen Querschnitt durch die amerikanische Gesellschaft in der Zeit um 1979/1980. California heißt die Straße, die West von Ost, Arm von Reich, Hoffnungsvolle von Privilegierten trennt. Freundschaft, gemeinsame Illusionen, Liebe oder Haß verbinden die Protagonisten.

Muley ist ein begabter Teenager, phantasievoll, ständig auf der Suche nach Neuem. Die Geschwister Larry - ein Schlagzeuger und Möchtegern-Verführer - und Lana, unterfordert und überdreht, ihre Freundinnen und Freunde sowie deren Eltern, sie alle sind unsicher und abenteuerlustig. Die Ehen sind durch Tod, Scheidung oder gegenseitige Abneigung zerstört.

Langer erzählt von ihrem Alltag mit so viel Anteilnahme, so vielen komischen Begebenheiten und liebevollen Details, daß man leicht mit diesen Menschen mitlebt, auch wenn dies alles in der Reagan-Zeit spielt, damals, als die USA noch unter den Nachwirkungen eines Katers aus den 1960er Jahren litten.

Der großartigste amerikanische Entwicklungsroman dieser Saison ist jedoch Tom Wolfes "I Am Charlotte Simmons", der bisher nur auf englisch erhältlich ist. Wolfe beschreibt darin meisterhaft das neue Leben einer begabten Studentin aus der Provinz auf einem Elite-College. Den dortigen Alltag aus Rassismus, Klassenzugehörigkeit, Mode, Sport und Sex erlebt man derart gefesselt und atemlos mit, daß es unmöglich wird, das Buch auch nur kurz aus der Hand zu legen. Phantastisch!

Matthew Sharpe: Eine amerikanische Familie, Aufbau-Verlag, 336 Seiten; 19,90 Euro.

Adam Langer: Crossing California. Rowohlt Verlag, 592 Seiten; 24,90 Euro.

Tom Wolfe, I Am Charlotte Simmons, Verlag Farrar, Straus and Giroux, 688 Seiten; 28,95 $.