Verkrümelt sich beim Lesen: das “Russisch Brot“ des Berliner Autors Michael Wildenhain.

Mürbes Zeug, dieses Russisch Brot. Wer erinnert sich nicht noch an die Verheißung der Kekstüte, die intakte Buchstaben versprach und doch fast nur Bruchstücke enthielt, die nicht einmal geschmacklich für die entgangene Wortspielerei entschädigten?

Auch Michael Wildenhains Roman "Russisch Brot" erscheint zunächst bruchstückhaft. Die ersten Kapitel lesen sich zusammenhanglos, sie könnten auch für sich als rätselhaft-lakonische Kurzgeschichten aus der Nachkriegszeit stehen. Doch hier hat das Fragmentarische Methode, denn der Zusammenhang entsteht erst allmählich, indem der Erzähler sich daran erinnert, wie er die Welt als Kind wahrnahm. Aus genau beobachteten Details entsteht so das Porträt einer beschädigten Familie, deren Geheimnissen der Junge nachgespürt hat.

Für Joachim, der in kleinen Verhältnissen in Berlin-West aufwächst, setzt sich die Spaltung der Stadt im Privaten fort. Die Familie seiner Mutter ist nach dem Mauerbau auseinandergerissen und kann sich nur selten treffen. Mehr noch: Joachims Eltern scheinen so gut wie nichts miteinander gemein zu haben. Und beide, der vom Krieg an Leib und Psyche verletzte Vater und die verschlossene Mutter, sind mehr mit dem eigenen Unglück als mit ihrem Sohn beschäftigt. Die Liebe zum Kind wird nie direkt, sondern nur hilflos-versteckt ausgedrückt.

Auf lauter Rätsel stößt der aufmerksame, scheue Junge: Warum steht auf dem Nachttisch der Eltern eine gerahmte Fotografie, die seine Mutter als Kind mit einem unbekannten Jungen zeigt? Wer ist der Mann, der in der Ostberliner Laube des Opas Joachims Mutter geküßt hat? Und warum erzählt die so gerne von einem Jungen, der als Günni, die Heulsuse, verspottet wurde?

Joachims Versuch, sich ein Bild aus den vielen Beobachtungen zu machen, wird zur Identitätssuche. Ist sein Vater womöglich ein anderer? Und vollzieht er nicht, während er heranwächst, die Geschichte seiner Mutter wie in einer Spiegelung selbst nach?

Im letzten Kapitel ist die Mauer gefallen, und einige Rätsel sind gelöst. Doch auch der mühsam entwickelte Zauber der Geschichte hat sich durch eher banale Erklärungen verflüchtigt. Das Ende ist enttäuschend - wie eine Kekstüte, in der nur noch Krümel sind.

Michael Wildenhain: Russisch Brot. Klett-Cotta, 272 Seiten; 18,50 Euro. Der Autor liest am 18. 4. um 20 Uhr im Literaturzentrum, Schwanenwik 38.