Annemarie Stoltenberg stellt für den Börsenverein, Region Nord, im Frühjahr und Herbst Neuerscheinungen vor. Hier präsentiert die NDR-Redakteurin einmal im Monat ihre persönliche Buchauswahl.

Leicht ist es nicht, den neuen Roman von Jochen Missfeldt zu lesen. Man braucht eine ganze Weile, um in den eigentümlichen Rhythmus und Stil einzutauchen, um zu verstehen, was für eine ungeheuerliche Geschichte hier erzählt wird.

Missfeldt biedert sich keinem Leser an, eher entzieht er sich; wie ein alter Verwandter, der von den Nichten und Neffen befragt wird: "Wie war es damals im Krieg?" Er antwortet unwirsch, weicht aus und kommt doch immer wieder auf das zentrale Motiv, so sicher, wie die Wellen der Ostsee auf den Strand rollen. Missfeldt kennt seine schleswig-holsteinische Heimat. Er weiß, wie ein Knick riecht, wie Weidenholz duftet, wenn man einen Zweig bricht, er kann Wolken bei jedem Wetter beschreiben. Man hört bei ihm, was zwischen den Wörtern der maulfaulen Küstenbewohner gesagt und gefühlt wird.

Im Frühjahr 1945 begehen zwei Marinesoldaten Fahnenflucht. Sie gelangen über die dänische Grenze, werden von einer Militärpatrouille aufgegriffen und an die deutsche Wehrmacht ausgeliefert. Am 10. Mai 1945, nach einer offiziellen Kriegsgerichtssitzung, werden sie von einem Hinrichtungskommando erschossen. Zwei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Der Krieg war aus, aber der bedingungslose Gehorsam funktionierte noch erbarmungslos. Im Nachwort erfahren wir, daß dies tatsächlich 1945 so geschah. In Wirklichkeit waren es drei Marinesoldaten, die hingerichtet wurden.

Jochen Missfeldts Roman ist ein Denkmal, nicht nur für diese drei Soldaten, sondern auch für Mütter, die ihre Söhne verloren haben, für die Familien, in deren Mitte sie schmerzlich vermißt wurden. Wir alle sind als Kinder aufgewachsen mit Tausenden solcher Geschichten über Onkel Hans und Onkel Alfred, von denen erzählt wurde, die in einem sinnlosen Krieg gestorben sind. Missfeldts Kunststück ist es, eine solche Geschichte vom Meeresboden zu heben und sie in unser heutiges Denken einzufügen. Nur wer sich erinnern kann, was Krieg bedeutet, wird ihn mit aller Leidenschaft verhindern wollen.

Jochen Missfeldt: Steilküste. Rowohlt Verlag. 281 Seiten; 19,90 Euro.