Thomas Meinecke kurvt in seinem meist spaßfreien, virtuosen Diskurswerk “Musik“ durch die Poptheorie.

Ist das noch ein Roman mit klassischer Verlaufsstruktur oder schon ein manisch wie virtuos ausformulierter Zettelkasten? Eine Handlung, die leicht selbstverliebt und doch sehr distanziert um sich kreist und schlingert. Ein Thesenpapier, in dem sich - als wären die Themensplitter und Querverweise fröhlich zurechtgegoogelt worden - Geschichte und Geschlechter, Motive und Mythen kunterbunt und dennoch spaßfrei vermischen.

Thomas Meineckes "Musik" will ursprünglich vielleicht die Geschichte eines literarisch ambitionierten Geschwisterpaars erzählen. Eine schreibt aus feministischer Sicht über Prominente, die am gleichen Datum Geburtstag haben, der andere, eigentlich Flugbegleiter, versucht sich in Hotelzimmern an einem Rundumschlag über musiksoziologische und geschlechterübergreifende Poptheorien.

Beider Arbeiten greifen ineinander, sie korrespondieren über Fragen und geben Antworten. Doch das ist nur die Initialzündung für großflächiges, kleinteiliges Nachgrübeln über Gott und den Groove, über richtige Gesten und die falschen Codes, über gute und schlechte Platten, über wahre und gefälschte Identitäten in einer durch und durch sexualisierten Welt. Ein Parallelenuniversum ensteht, in dem Claudia Schiffer um Ludwig II. kreist, Wagner um die schwule House-Szene oder um die Frage, wie männlich Rockmusik als Gegenentwurf zu Disco sein durfte.

Meinecke ist DJ und Musiker in der Münchner Band FSK und sehr sendungsbewußt. All das liest man seinem diskursbeladenen Text an. Vorher, um nur ein Beispiel zu nennen, wußte man nicht, daß Friedrich Nietzsche und die bei einem Flugzeugabsturz getötete R&B-Sängerin Aaliyah am selben Datum starben. Das ist weder Absicht noch bedeutsam (und schlimmstenfalls auch nur eine Internet-Ente), für Meinecke aber gerade deswegen Grund genug, sich deren jeweiliger Rollen-Bedeutung zu nähern. Je besser ein DJ, desto genauer sein Gespür, welche Platte im nächsten Moment überrascht und bei Laune hält. Nach diesem Prinzip verhäkelt und samplet Meinecke auch seine Textmassen. Die Grenze zwischen schlau und schlaumeiernd ist dabei fließend. Anstrengend, verwirrend. Lohnend, irgendwie.

Thomas Meinecke: Musik. Suhrkamp, 372 Seiten; 19,80 Euro.

Am 22. April um 19 Uhr liest der Autor mit Frank Witzel und Klaus Walter aus dem gemeinsamen Buch "Plattenspieler": Nachtasyl (Thalia Theater), Alstertor 1. Karten zu 5 Euro: T. 01 80 1-63 87 67.