Hamburger Ärzte berichten von ähnlichen Fällen - wie dem des jungen Christian, der jeden weiteren Eingriff ablehnte. Aber manchmal, sagt ein UKE-Professor, muss man das Leben eines Patienten auch gegen seinen Willen schützen.

Eine 13-Jährige darf auf eigenen Wunsch sterben. Das bewegt nicht nur England, sondern auch die Deutschen. Es ist die Geschichte der todkranken Hannah Jones , die eine Herztransplantation ablehnt und daheim bei ihrer Familie bleiben will (wir berichteten). Hannahs Entscheidung fällt mitten in erregte Debatten um Sterbehilfe und das Selbstbestimmungsrecht von Patienten.

Wann dürfen Ärzte, wann muss die Gesellschaft es hinnehmen, dass Menschen Behandlungsmöglichkeiten ablehnen und sich zum Sterben entschließen?

Video: 13-Jährige wehrt sich gegen Herztransplantation

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Der Fall Hannah spitzt diese Fragen zu. Können auch Minderjährige so schwer wiegende Entscheidungen über ihr Leben selbst treffen? Und wenn nicht sie: Wer sonst wäre berechtigt, darüber zu entscheiden, was "das Beste" für sie ist?

Hannah leidet unter einer seltenen Form der Leukämie. Sie hat acht Jahre Behandlung mit aggressivsten Medikamenten hinter sich, um die Krankheit einzudämmen. Aber sie kämpft mit den Nebenwirkungen, auch ihr Herz ist dauerhaft geschädigt, bringt nur noch zehn Prozent Leistung. Dreimal hat sie einen Herzschrittmacher erhalten. Eine Herztransplantation scheint ein Ausweg - aber sie lehnt ab.

"Ich war so oft im Krankenhaus", sagte sie dem "Guardian", "ich bin schon traumatisiert. Ich wollte es (die Transplantation) einfach nicht." Und sie fügte hinzu, dass sie sehr wohl abgewogen hat: "Ich habe entschieden, dass das zu riskant wäre. Denn selbst wenn ich mich für den Eingriff entschieden hätte, könnte es schlecht ausgehen."

Hannah stand vor einem Dilemma. Damit das neue Herz nicht abgestoßen wird, müsste sie Medikamente nehmen, die ihr Immunsystem schwächen. Das würde jedoch den Blutkrebs wieder begünstigen.

Das heißt: Sie kann ohne die Herz-Operation nicht überleben. Aber mit ihr auch nicht, sie würde dann mit großer Wahrscheinlichkeit der Leukämie erliegen.

Hannahs Mutter Kirsty ist Intensiv-Krankenschwester, der Vater Andrew ist Rechnungsprüfer. Die Eltern tragen Hannahs Entscheidung mit, das Krankenhaus nicht. Es beantragt, den Eltern das Sorgerecht zeitweilig zu entziehen, um die Operation durchführen zu können.

Man muss sich das vorstellen: Die Familie erwartete, dass die todkranke Hannah jederzeit von der Polizei abgeholt und ins Krankenhaus gebracht würde. "Es war absolut beängstigend", sagt Kirsty Jones.

Die Wende brachte der Besuch einer Kinderschutzbeamtin Anfang der Woche. "Diese Beamtin war großartig", sagt die Mutter. "Sie hörte aufmerksam zu, was Hannah wollte, dann ging sie zum Gericht und sorgte dafür, dass der Fall niedergeschlagen wurde." Klinik-Chef Chris Bull schrieb der Familie inzwischen, Hannah sei "eine tapfere und mutige junge Frau. Hannah scheint den Ernst ihres Zustandes zu verstehen." Der Presse erklärte er, man habe erkannt, dass es so "das Beste" für die Patientin sei.

Hannah spricht nach jahrelanger Behandlung von einem Krankenhaus-Trauma. "Das ist auch sicher so", sagt Professor Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik in Eppendorf. "Wiederholte Hospitalisierungen bei einer Krankheit wie Leukämie führen dazu, dass Kinder therapiemüde werden. Deshalb ist es wichtig und bei uns auch Standard, dass sie von vornherein psychologisch und kinderpsychiatrisch betreut werden."

Ob und wie die Behandlung weitergeht, könne eine 13-Jährige allerdings nicht allein entscheiden, sagt Schulte-Markwort. Und es reiche auch nicht, die Entscheidung von einer einzelnen Kinderschutzbeauftragten oder einem Einzelgespräch abhängig zu machen. "Solch ein Kind braucht fürsorgliche Eltern und Behandler. Man muss den Willen einer 13-Jährigen immer besonders berücksichtigen. Aber wir würden in solchen Fällen eine Ethikkommission einsetzen. Denn es gilt eine Menge Aspekte zu beachten, und dazu gehören unterschiedliche Disziplinen an einen Tisch, etwa Rechtsmediziner, Kinder- und Jugendpsychiater, Hämatologe, Onkologe."

Wenn ein Kind psychotherapeutisch betreut wird, können Phasen der Therapiemüdigkeit besser überwunden und der Lebensmut geweckt werden. "Aber wird dürfen uns auch nicht einbilden, dass wir da omnipotent alles bewegen könnten. Es gibt Kinder auch im Alter von 13, die es nicht mehr aushalten und bei denen man respektieren kann, dass sie an einem bestimmten Punkt sagen: ,So, jetzt lasst mich in Ruhe.' Wir machen immer wieder solche Erfahrungen mit sterbenskranken Kindern. Ich habe einen 14-jährigen leukämiekranken Jungen erlebt, der nicht weiterbehandelt werden wollte und dann in Frieden gestorben ist."

Diese Erfahrung hat auch der Ärztliche Direktor des Altonaer Kinderkrankenhauses, Professor Frank Riedel, gemacht. Bis heute kann er sich gut an Christian erinnern, der vor zwölf Jahren gestorben ist.

Viele Jahre betreute Riedel diesen Jungen, der an einer schweren Form von Mucoviszidose litt. Bei dieser unheilbaren Erbkrankheit bildet sich zähflüssiger Schleim, in der Lunge kommt es dadurch zu häufig wiederkehrenden Infekten und schweren Entzündungen. Christian litt unter chronischem Sauerstoffmangel und unter Atemnot.

"Er war gerade 16 geworden und so krank, dass er wohl keine zwei Jahre mehr zu leben hatte. Deshalb schlugen wir ihm vor, eine Lungentransplantation machen zu lassen", sagt Riedel. Aber Christian lehnte ab. "Ich war schon ein bisschen enttäuscht, weil ich wusste, dass über die Hälfte der Operationen erfolgreich sind", sagt Riedel, "und weil er eine Chance gehabt hätte, noch einige Jahre recht gut zu leben." Er habe die Entscheidung schließlich respektiert: "Christian war, wie wohl auch dieses englische Mädchen, durch seine jahrelange Erkrankung früh erwachsen geworden, reifer als es seinem Alter entsprach." Als Christian starb, war er 20.

Hannah und Christian: Beide Fälle machen deutlich, in welchem Dilemma sich auch Ärzte befinden. Sie wollen helfen. Aber können sie ein Kind zu seinem "Besten" zwingen?

"Ich habe täglich mit suizidalen Kindern und Jugendlichen zu tun, und da respektiere ich ihren Sterbewunsch natürlich nicht", sagt Schulte-Markwort. "Sondern ich sorge dafür, dass sie behandelt werden, und zu 99 Prozent finden sie zurück ins Leben. Es gibt immer Fälle, in denen man ihr Leben gegen ihren Willen schützen muss. Aber immer wieder gibt es auch Fälle, in denen alle zurücktreten und sagen: ,Das respektieren wir jetzt.'"

Für den Tübinger Moraltheologen Professor Dietmar Mieth gehört der Fall Hannah zu "jenen Extremfällen, die nicht verallgemeinerbar sind und in denen immer eine große Unsicherheit bleibt: Wie man auch entscheidet, ist es falsch." Hannahs Gründe klängen einleuchtend. "Bei Erwachsenen würden wir die informierte Verweigerung eines Behandlungsvorschlags akzeptieren - bei Minderjährigen nur unter bestimmten Bedingungen", meint Mieth. Etwa dann, wenn ein Jugendlicher sich - bei klarem Bewusstsein und mit einer gewissen Urteilsfähigkeit - gegen eine Operation ausspricht und dabei auch das Votum der Eltern unterstützt. "Aber ich frage mich, ob eine Herzoperation hier das Leben oder nur das Sterben verlängern würde."