Wladimir Klitschko verteidigt seinen Titel in der ausverkauften Hamburger O2 World gegen den Polen Mariusz Wach clever und überzeugend.

Hamburg. Vielleicht ist es jenes Bild, das im Kopf bleiben wird von einem denkwürdigen Boxabend. Jener Moment in der elften Runde, als 112 Kilogramm und 198 Zentimeter plötzlich anfangen zu tänzeln, so als wäre vorher nichts gewesen, was den muskeldurchzogenen Körper hätte ermüden können. Jene Sekunden, in denen deutlich wird, dass dort kein normaler Mensch im Ring steht, sondern ein Künstler, ein Meister der Beherrschung und Bewegung, der seine Bühne nutzt, um sein gesamtes Können zu zeigen, ohne dabei den Gegner lächerlich zu machen.

Es gab einige dieser Augenblicke in der Nacht zum Sonntag, die 15.000 Zuschauern in der ausverkauften O2 World und 11,77 Millionen im Schnitt bei RTL den Atem hätten verschlagen können. Da war diese erste Runde zwischen Wladimir Klitschko, dem Dreifachweltmeister im Schwergewicht, und seinem Herausforderer Mariusz Wach, in der der Champion ein solch hohes Tempo anschlug und so häufig mit der rechten Schlaghand zum Kopf des Gegners durchkam, dass niemand auch nur einen Cent darauf hätte setzen wollen, dass Klitschko am Ende nicht vorzeitig, sondern einstimmig (120:107, 120:107, 119:109) nach Punkten siegen würde.

Da war diese fünfte Runde, in der Wach auf einmal mit einer Rechten zu Klitschkos Kopf durchkam und für einen Moment die überwunden geglaubte Defensivschwäche des Ukrainers aufblitzte. Und da war diese achte Runde, in der Klitschko mit einer spektakulären Trefferserie Wach dermaßen an den Seilen festnagelte, dass dieser ohne die Ringbefestigung wohl in Richtung Sylvesterallee geflogen wäre. Hätte Ringrichter Eddie Cotton (USA) in dieser Szene den Kampf abgebrochen, niemand hätte sich darüber gewundert.

+++ Interview mit Klitschko-Trainer Banks +++

Dass er es nicht tat, war im Rückblick die beste Entscheidung, die der schwächste Mann im Ring, der viel zu nachgiebig die kleinen Unsauberkeiten Wachs im Infight durchgehen ließ, an diesem Abend treffen konnte. Denn so erlebten die Zuschauer jenen erhabenen Moment in Runde elf, als die ganze Klasse des Wladimir Klitschko deutlich wurde in ein paar Tanzschritten. Die Klasse eines gereiften Sportlers, der sich auf das besinnt, was für einen Profiboxer wirklich wichtig ist: maximaler Erfolg bei minimaler Gesundheitsgefährdung. Übersetzt in Boxerjargon: Treffen und nicht getroffen werden.

+++ Interview mit Wladimir Klitschko +++

Natürlich wird es wieder Kritiker geben, die Wach als langsamen Sandsack bezeichnen, die nicht verstehen wollen, warum Klitschko nicht noch stärker auf den Knock-out setzte. Aber man darf wesentliche Dinge nicht vergessen. Klitschko kämpfte erstmals gegen einen Mann, der ihm körperlich überlegen war: 1,8 kg schwerer, vier Zentimeter größer, sechs Zentimeter mehr Reichweite. Wach war in 27 Profikämpfen unbesiegt. Und während er sich seit Juni ungestört hatte vorbereiten können, musste Klitschko 16 Tage vor dem Kampf den Krebstod seines Trainers Emanuel Steward verkraften.

Doch die Taktik, die er und sein Interimstrainer Johnathon Banks wählten, war perfekt. "Wir wollten von Beginn an dominieren und Wach zeigen, dass er keine Chance haben würde", sagte Banks. "Ich wollte kämpfen, und ich wollte klar gewinnen. Deshalb bin ich auch nicht ganz zufrieden, weil mir kein K. o. gelungen ist. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Wach so viele Schläge einstecken kann", sagte Klitschko. Es mag Ironie des Schicksals sein, dass der Ukrainer im ersten Kampf nach Stewards Tod zum ersten Mal so aggressiv boxte, wie dieser es immer eingefordert hatte. Diese Entschlossenheit war es, die Wach schnell den Zahn zog. Und die Intelligenz, sich am Ende nicht in unnötigem Schlagabtausch aufzureiben, war es, die Klitschko von anderen Boxern unterscheidet.

+++ Kommentar: Fragwürdige Erziehungskur +++

Man darf sicherlich nicht von einer epischen Schlacht sprechen, dafür war der 32 Jahre alte Pole zu unterlegen. Aber es war ein Schwergewichtskampf der unterhaltsameren Art, weil dort ein Gegner stand, der bis zum Ende den Eindruck erweckte, gegenhalten zu wollen. Für einen Klitschko-Herausforderer ist das das Höchste, was man derzeit erwarten kann. Natürlich gab es sarkastische Stimmen, die fragten, ob Wach sein ausladendes Kinn nicht doch mit Beton ausgekleidet oder welches Pülverchen ihm zu einer solchen Energieleistung verholfen habe. Doch in Wahrheit hatte sich Wach nicht nur als Krieger, sondern auch als Sportsmann gezeigt. Einzig dass er Söhnchen Oliwier, 2, mit an den Ring genommen hatte, war kritikwürdig. Anders als viele Verlierer vor ihm suchte er die Schuld nur bei sich: "Wladimir war in allen Belangen überlegen. Ich hätte viel besser sein müssen, um ihn zu gefährden. Jetzt muss ich mir eine neue Chance mit harten Kämpfen verdienen."

+++ Interview mit Wach +++

Über ein Rematch wurde am frühen Sonntagmorgen tatsächlich nicht geredet. Klitschko-Manager Bernd Bönte sagte, man werde mit diversen Herausforderern verhandeln. Eine Pflichtverteidigung gegen die Nummer eins der WBA, den Russen Alexander Povetkin vom Berliner Sauerland-Team, schloss er als nächsten Kampf im Frühjahr aus: "Wenn wir uns mit Sauerland einigen, kommt der Kampf im Sommer. Wenn nicht, kommt er nie. Es gibt nur unseren Weg oder keinen." Auch die Frage nach Stewards Nachfolge blieb ungeklärt. Während Klitschko kundtat, er "schließe nicht aus, dass Johnathon mein Trainer bleibt", sagte Banks, er werde auf jeden Fall auch im nächsten Kampf als Coach in der Ecke stehen.

Zunächst steht den beiden jedoch die größte Herausforderung bevor. Morgen wird in Detroit ihr Freund und langjähriger Trainer begraben. Was ist dagegen schon ein Boxkampf?