HAMBURG. Als Dorothee Vieth im Krankenhaus erwachte, dachte sie zuerst an ihre Hände. An das wichtigste Werkzeug einer Geigenlehrerin. Sie ließen sich bewegen, zum Glück. Die Hamburgerin war mit einem Motorroller unterwegs gewesen. Auf der Max-Brauer-Allee. Eine Autofahrerin hatte sie beim Rechtsabbiegen übersehen, danach kam es zur Kollision.

Fast fünf Jahre ist der Unfall mittlerweile her. Wie er ihr Leben verändern würde, wie schwerwiegend die Verletzungen waren, realisierte Vieth damals noch nicht. Lange Zeit glaubte sie trotz kaputten Beckens und Teillähmung in Bein und Gesäß irgendwann wieder laufen zu können. Sie quälte sich durch die Rehabilitation. Ihre Gehhilfen ist sie dennoch bis heute nicht losgeworden. "Beschwerdefrei bewege ich mich auch damit nur vom Haus bis zum Auto", erzählt die 46-Jährige.

Längere Strecken legt sie im Rollstuhl zurück. Oder mit ihrem Sportgerät, dem Handbike. Ursprünglich aus Fahrradteilen zusammengebaut, sind Handbikes seit Anfang der 90er auch als reine Sportvehikel erhältlich. Bis zu 50 km/h erreichen die Radsportler auf gerader Strecke durch kurbeln mit den Händen. Seit 2004 ist der Sport Teil der Paralympics.

Während andere in ihrem Bike liegen oder sitzen, schwört Vieth auf eine kniende Position. Im vergangenen Jahr wurde sie in dieser Haltung in der Schweiz WM-Dritte im Einzelzeitfahren, zudem Vierte im Straßenrennen. Ein weiteres Mal fuhr sie bei der Europameisterschaft in Tschechien in die Medaillenränge, holte je einmal Silber und Bronze.

Dabei ist es nicht lange her, dass Vieth mit dem Handbikesport nichts zu tun haben wollte. "Ich dachte einfach, dass ich das nicht brauche", erzählt die frühere Volleyball- und Tennispielerin, die ihre neue Disziplin erst seit eineinhalb Jahren intensiv betreibt. Lebensgefährtin Christiane Weinert (40), die als Lehrerin an einer Schule für Körperbehinderte arbeitet, hatte sie zum Fahren überredet. Überzeugungsarbeit, die Vieth mit über 40 zum Hochleistungssport bringen sollte.

"Im Behindertensport ist der Nachwuchs eben nicht immer jung", meint die Athletin vom RSC Hamburg heute. Die anfängliche Skepsis ist längst der Begeisterung gewichen. Neben dem Geigenunterricht und eigenen Auftritten versucht sie bis zu sechsmal in der Woche zu trainieren. Das erklärte Ziel sind die Paralympics 2008 in Peking. Zurzeit dreht sie mit ihrem 5000 Euro teuren Bike in der neuen Leichtathletik-Halle in Alsterdorf ihre Runden, im Frühjahr geht es wieder auf die Straße, zum Beispiel durch die Osdorfer Feldmark. Dabei lässt sie sich von schlechtem Wetter nicht stoppen. Auch wenn sie bei Regen manchmal das Gefühl des Radfahrens in einer Badewanne hat.

Ihre musikalischen Qualitäten haben durch den zwangsläufigen Muskelaufbau im Oberkörper nicht gelitten. Im Gegenteil: "Auf den ausgeprägten Schultern sitzt das Instrument besser", sagt sie augenzwinkernd. Wie gut sich Musik und Sport vereinbaren lassen, zeigt auch eine erstaunliche Ausdauerleistung, die sie in der Heimat vollbrachte: Nachdem Vieth vormittags das Handbike-Rennen des Hamburg Marathons absolviert hatte, spielte sie am selben Tag abends in der Laeiszhalle als Konzertmeisterin noch die erste Geige.

  • Wer sind Ihre Hamburger Sportler des Jahres 2006? Senden Sie Ihre Vorschläge bitte bis zum 13. Januar auf dem Postweg an das Abendblatt, "Sportgala", 20790 Hamburg oder per Fax an 040/34 72 28 00