Das Abendblatt stellt Kandidaten vor: Heute Sven Dönges (46) und Christian Kretschmer (19).

Hamburg. Der Zufall schreibt häufig die besten Geschichten: Als Ende des 19. Jahrhunderts Nicholas Kaufmann ein kleiner Hund vors Rad gelaufen war, beförderte der damals bekannte Kunstradfahrer ihn instinktiv mit dem Vorderrad sanft zur Seite. Er wollte sich den Sturz und dem Tier eine Verletzung ersparen. Ein gut gemeinter Reflex - nichts weiter.

Ob man es nun glaubt oder nicht - aus dem Reflex vor mehr als 100 Jahren ist einige Zeit später die Idee des Radballs entstanden. Heutzutage wird Radball allerdings ohne Hund, dafür aber mit modernen Spezialrädern, die rund 1500 Euro kosten, gespielt. Die Lenkerstange steht weit nach oben ab, der Sattel ist extrem flach und bis über den Hinterreifen verlängert.

Wer an einem Montagabend in der alten Turnhalle der Schule Leuschnerstraße, direkt am Lohbrügger Marktplatz, vorbeischaut, der wird nicht mehr viel von den Anfängen des Radballs erkennen können. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 65 Kilometern pro Stunde fliegen Christian Kretschmer (19), der gerade mit hochrotem Kopf im Tor steht, die 550 bis 600 Gramm schweren Kugeln um die Ohren. Dabei schießt Sven Dönges die Bälle - ähnlich wie damals Kaufmann - zwar mit dem Vorderrad, allerdings alles andere als sanft.

Dönges wischt sich den triefenden Schweiß aus dem Gesicht. Radball sei eben keine Sportart zum Ausruhen. Eine direkte Übersetzung ohne Gangschaltung erlaubt es, auch rückwärts zu fahren. Dabei ist neben Kraft vor allem Geschicklichkeit gefragt. Um sein Rad entsprechend gut zu beherrschen, sollte man möglichst früh mit dem Sport beginnen und ebenso intensiv wie geduldig trainieren. Keiner weiß das besser, als Dönges. Bereits vor 36 Jahren hat er mit der Exoten-Sportart angefangen. Er sei schon in zweiter Generation dabei, sagt der Spielleiter des RKB (Rad- und Kraftfahrerbund) Solidarität Hamburg-Bille - nicht ohne Stolz in der Stimme.

Und der 46-Jährige hat allen Grund stolz zu sein. Schließlich ist der RKB eine Art Bayern München des Radballs. Gleich fünfmal wurde Dönges mit dem Klub deutscher Meister im Rasenradball, der Sommervariante des Radballs. Hierbei treten zwischen Juni und August sechs gegen sechs Spieler auf einem halben Fußballfeld in zweimal 15 Minuten gegeneinander an. Zum Vergleich: Bei der Hallenversion treffen zwei gegen zwei oder fünf gegen fünf Sportler aufeinander.

In der diesjährigen Meistermannschaft war neben "Oldie" Dönges auch "Youngster" Christian mit dabei. Er wurde bereits als Zwölfjähriger von Nachbar Dönges zum Training mitgenommen - und blieb. Denn obwohl der Schüler vom Gymnasium Lohbrügge normalerweise den Bus bevorzugt, war er von der ihm vorher unbekannten Sportart sofort fasziniert: "Es ist schon eine Art Kunst, was man alles mit dem Fahrrad machen kann."

Dass Christian viermal die Woche jeweils für zwei Stunden trainieren muss, stört ihn nicht. Auch nicht, dass seine Klassenkameraden eher Fußball, Basketball oder Tennis spielen: "Ich teste eben gern mal etwas anderes aus." Allein wäre er aber nie auf die Idee gekommen, Radball auszuprobieren: "Es war purer Zufall, dass mich Sven damals mitgenommen hat." Wie das eben so ist mit Zufällen.