Krise - Auf der Suche nach Erklärungen: Warum es in der deutschen Mannschaft bei diesen Spielen mehr Verlierer als Gewinner gibt

Athen. Das Fragefürwort "warum" ist in diesen Tagen oft der Beginn eines freudlosen Gesprächs mit Aktiven, Trainern und Funktionären. "Keiner hat eine schlüssige Erklärung", sagt Ralf Beckmann. Wie dem Cheftrainer des Schwimmverbandes ergeht es derzeit vielen im deutschen Olympiateam. Die wenigen Erfolge entsprechen nicht den hohen Ansprüchen, die Überraschungen halten sich in Grenzen. "Bei anderen Nationen sind in Athen größere Leistungssprünge zu beobachten", sagt Ralf Ziegler, Leistungssportdirektor des Deutschen Sportbundes (DSB). Viele deutsche Athleten blieben hinter ihren Leistungen im Vorfeld zurück.

Dr. Friederike Janofske ist Psychologin. Die Berlinerin betreut seit zweieinhalb Jahren die Schwimmerin Franziska van Almsick. Vom Besuch des olympischen Dorfes kehrte sie erschrocken zurück, berichtet van Almsicks Managerin Regine Eichhorn. Janofske hätte keinen festen Rhythmus im Tagesablauf der deutschen Athleten erkennen können. Der Körper sei es aber gewohnt, seine Leistungen zu bestimmten Zeiten zu erbringen.

Fehlende psychologische Betreuung hatte der DSB nach den Spielen 2000 in Sydney im deutschen Team als Ursache vieler medaillenloser Platzierungen ausgemacht. Seither arbeiten bis zu 24 Psychologen in 26 Projekten mit den olympischen Fachverbänden zusammen. Nur: Nach Athen wurde zur direkten Wettkampfeinstimmung kein Mentaltrainer mitgenommen. Allein die Hockeyspieler machten eine Ausnahme. Sie verschafften Lothar Linz eine Akkreditierung und bezahlten den Trip aus der Verbandskasse, weil es die Spieler forderten. Klaus Steinbach, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), weist die Verantwortung zurück: "Jeder Sportfachverband hat sein Kontingent. Welche Personen neben den Sportlern mitfahren, entscheidet der Verband." Die offenen Plätze wurden an Trainer, Mediziner, Physiotherapeuten und Funktionäre vergeben - der Psychologe musste zu Hause bleiben. Bei Australiern, Amerikanern und Chinesen gilt er als fester Bestandteil des Teams, andere europäische Nationen sind diesen Beispielen längst gefolgt.

Klaus Steinbach hat in Athen die Körpersprache der deutschen Mannschaft moniert, Siegertypen sähen anders aus. Die Amerikaner würden wesentlich lockerer auftreten und dennoch die Konzentration auf den Wettkampf nicht verlieren. "Der letzte Kick hat bisher bei unseren Athleten gefehlt", sagte der NOK-Chef.

Den wollten Einer-Ruderer Marcel Hacker und sein Trainer Andreas Maul mit einem Medienboykott herauskitzeln. Hacker half er wenig. Er wirkte verkrampft, im persönlichen Umgang und auf der Rennstrecke. Im Halbfinale schied der Mitfavorit auf Gold chancenlos aus. Auch Fechtern und Schützen gelang die Fokussierung auf den wichtigsten Wettkampf seit vier Jahren nicht. Die Deutschen, das ist die Bilanz der Olympiade von 2001 bis 2004, sind zwischen den Spielen fit, die anderen bei den Spielen. Die guten Ergebnisse der vergangenen Welt- und Europameisterschaften hatten NOK und DSB auf dem richtigen Weg gewähnt. Für Amerikaner, Australier, Chinesen und vor allem kleinere Nationen wiederum zählt nur olympisches Gold. Entsprechend langfristig sind ihre Trainingspläne angelegt. Von Fehlsteuerung mag im deutschen Team indes niemand reden, zumindest nicht offiziell. Das geschlossene System lässt offene Kritik nicht zu. Schließlich geht es um Anstellungen und Verträge. Die setzt niemand aufs Spiel.

Zu wenig trainiert für Athen haben die deutschen Sportler nicht, eher viel zu viel. Radprofi Jan Ullrich ("Ich habe zu viele Rennen nach der Tour de France bestritten") und die Schwimmer klagen über schwere Beine. Franziska van Almsick: "Ich bin einfach müde, total groggy." Vor vier Wochen hatte sie ihre Managerin aus dem Trainingslager angerufen und gejubelt: "Ich bin in der Form meines Lebens." Aber: Das Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung stimmte nicht, die deutschen Schwimmer kamen - auch auf Grund einer strapaziösen Anreise - nicht erholt in Athen an. Am Druck, sagt Psychologin Janofske, seien sie nicht gescheitert, der hätte sich erst eingestellt, als sie spürten, dass der Körper nicht so konnte, wie er sollte.

Das Jammern, sagt Klaus Steinbach, müsse nun ein Ende haben: "Es liegen noch viele gute Medaillenchancen vor uns." Und Springreiter Ludger Beerbaum, Träger der deutschen Fahne, meinte: "Das Glas ist noch drei Viertel voll!"