Athen bei Nacht - auch dieses Kapitel hat profitiert von dem Kraftakt, die hektische Metro- pole für Olympia fit zu machen.

Wirklich einladend war die Stadt der Philosophen, die Wiege europäischer Zivilisation bisher nie. Zu laut, zu viele Autos und Abgase, zu viel Palaver. Athen fehlen die schönen Parks, wie Paris sie hat, Venedigs Kanäle und die Alleen von Berlin. Hier ist eben fast alles alt und brüchig. Deshalb fühlten sich auch Altertumsforscher und Folklore-Fans der Fachrichtung Alexis Sorbas immer so gut aufgehoben. Nun ist alles anders. Das Londoner Trendmagazin "Wallpaper" hat Griechenlands von vier Millionen Menschen bevölkerte Hauptstadt nun unter die angesagtesten europäischen Städte eingereiht. Athen gilt als "cool" und "sexy".

Kannte man bisher vor allem das Altstadtviertel Plaka zum Spazieren und Kolonaki mit seinen mondänen Boutiquen, Restaurants und Bars, hat sich jetzt das Ausgeh-Angebot enorm erweitert. Die neuen "hippen" Milieus heißen Gasi und Psiri.

Dort ratterten einst die Maschinen in kleinen Manufakturen, schufteten Schreiner, Drucker und Blechmacher. Jetzt spreizt sich in Galerien die junge Kunstszene, sind Clubs und noble Restaurants eingezogen. Wer dort nicht flaniert, lernt nicht das neue Athen kennen, die einzige Stadt der Alten Welt, die niemals schläft.

Schnell haben die Griechen eine ihrer Leidenschaften, das exzessive Nachtleben, in die alt-neuen Viertel getragen. Wenn die Siesta vorüber, die Wettkämpfe in den Stadien beendet sind und die Hitze noch schwer auf der Stadt lastet, beginnen die Athener ihre Selbstinszenierung.

Schöne Frauen mit dunklen Sonnenbrillen entsteigen den 16 neuen Stationen des erweiterten Metro-Netzes, schreiten übers Pflaster, lassen die Einkaufstüten mit Edelmarkennamen am Handgelenk baumeln, platzieren sich in eine der Tavernen und schnattern fröhlich drauflos. Selbstbewusste Männer laufen herum, reden, taxieren, reden, rauchen, reden, flirten, reden. Irgendwas läuft immer, vorwiegend nach 22 Uhr. In der Stunde nach Mitternacht gehts zur Küstenstraße Poseidonos. An der entzückt nicht nur der Blick über den Sardonischen Golf, sondern es locken auch die vielen Türen, die in angesagte Clubs führen.

Die Veränderung zeigt sich am deutlichsten am Fuß der Akropolis. Jahrzehntelang haben rußdieselnde Fahrzeuge das antike Zentrum in eine hupende, schrille, heiße Vorhölle verwandelt. Jetzt lockt eine autofreie Fußgängerzone. Sie verbindet den Akropolisberg mit dem Zeustempel und der Agora, dem Marktplatz. In den Olivenbäumen trällern Vögel, es duftet nach Lavendel, und über allem prunkt der frisch restaurierte, kalkweiße Athenatempel Parthenon. Es ist eine Lust, hier zu flanieren. Das haben schon Sokrates, Perikles und die anderen von der denkenden Zunft vor mehr als 2000 Jahren so empfunden. Wer sich erst mal einen Überblick verschaffen will, fahre mit der Lykabettos-Bahn auf den höchsten Stadtgipfel. Der Panoramablick von dort oben streift Hafen, Meer und Tausende bunter Dächer, verhakt sich an der Akropolis, nimmt souverän das Gewimmel zur Kenntnis. Ja, Athen ist eben doch schön. Lange genug hat es gedauert, bis es so weit war, und dabei sind natürlich immer noch nicht alle Baustellen verschwunden.

Wohin am Abend, wenn die Olympioniken schlafen? Wer unter Griechen sein will, muss in die Gegend um die Markthalle. Dort gibt es hübsche kleine Kneipen, in denen die Einheimischen in drangvoller Enge sitzen und stehen, aber bei bombiger Laune. Der Athener ist ein schwatzsüchtiges Kollektivwesen. Es wird schwadroniert, auf den Tisch gehauen, gelacht, gestikuliert, Hände fahren durch die qualmbeladene Luft. Mancher Ouzo fließt, aber auch preisgünstiger, trinkbarer Wein ist im Angebot. Dazu gibt es dicke Bohnensuppe, Sardinen und anderen Fisch, Salate, aber auch fette Kalbsfüße und reichlich vom Schwein. Das alles überlagert vom Plärren der Bouzouki-Hits.

Es ist kein Drama, sich hier als Teutone zu outen. Dem wird auf die Schulter geklopft, man muss das Glas zum Anstoßen heben. Ein Volk, das den Geburtsort europäischer Kultur mit einem "Rehakles" beglücken konnte, kann so schlimm nicht sein.

Wer es mondäner möchte, muss nach Kolonaki, Psiri und Gasi, in die neuen Szeneviertel. Dort ist es teurer, aber das Leben wird als Zeremonie vorgeführt. Lokale hangeln sich die Stouva Road empor, bunte Drinks werden serviert, man schaut und lässt sich beschauen. Die halbe Welt zieht vorüber. Natürlich geht es chaotisch zu und lärmend. Chaos, finden griechische Dichter, sei eines der schönsten Wörter ihrer Sprache.

Vielleicht sollte man das eine ebenso ausprobieren wie das andere. Athen, das endlich seine Spiele zurückbekommen hat, bietet auch außerhalb von Olympia so viel wie nie zuvor. Die Stadt hat ihr Image abgelegt, nur Metropole alter Säulen und Steine zu sein, in der Archäologen glänzende Augen bekommen. Athen ist in der Gegenwart angekommen.