Hamburger Abendblatt:

Mit dem LHC begebe man sich, wie manche Wissenschaftler sagen, auf die Suche nach dem Gottesteilchen. Wird es uns Einsichten in die Schöpfung bescheren?

Rolf-Dieter Heuer:

Einblick in die Schöpfung? Das scheint mir zu hoch gegriffen. Ich glaube, wir werden Einblick in gewisse Regeln bekommen, nach denen die Schöpfung abgelaufen sein könnte. Das ist nicht nur spannend, das ist - im philosophischen Sinne - sicherlich auch erhellend und wird die Diskussionen über die Entstehung des Lebens beflügeln.



Hamburger Abendblatt:

Kann oder wird das Experiment unser Welt- und Menschenbild verändern?

Rolf-Dieter Heuer:

Das Menschenbild wird es nicht verändern. Aber es könnte sehr gut sein, dass es unser Weltbild verändert. Unser jetziges Weltbild sieht doch nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was da ist. Physiker können beispielsweise bislang nur fünf Prozent des Universums mit physikalischen Theorien erklären. Wenn wir in die Frühzeit des Universums vordringen können, wenn wir Licht in das Dunkel des Universums werfen können, dann erweitert das unseren Horizont. Das wird unser Weltbild verändern. Doch wie, das wissen wir erst, wenn die Ergebnisse bewertet sind.



Hamburger Abendblatt:

Wird es unser Verständnis von Raum und Zeit revolutionieren?

Heuer:

O ja. Auf der Suche nach der Weltformel wurden auch Theorien ersonnen, die mit mehr als drei Dimensionen "jonglieren". Das können wir uns alle wohl nicht vorstellen, aber vielleicht eröffnet der LHC die Sicht auf diese Dimensionen. Denn noch sind wir halt wie Ameisen, sie können sich aus ihrer Perspektive auch keine Kugel vorstellen.



Hamburger Abendblatt:

Wollen Sie das Experiment philosophisch begleiten lassen?

Heuer:

Das Thema liegt mir am Herzen. Die Experimente am LHC werden Fragen aufwerfen, die Physik, Kosmologie und Philosophie zusammen diskutieren müssen. Der LHC bietet die große Chance, das Gespräch zwischen diesen Disziplinen, das beispielsweise in Potsdam im Einstein-Forum oder auf der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft bereits begonnen hat, am Cern fortzusetzen. Das werden wir tun. Zumal das Experiment, an dem Tausende Menschen aus aller Herren Länder mitwirken, die Chance birgt, den Umgang der Menschen untereinander verständnisvoller zu gestalten, die Diskussion zwischen den Kulturen zu stärken.