Während religiöse Gruppen seine Theorien verdammen, erbringt die moderne Wissenschaft immer neue Belege dafür.

Hamburg. "Viel Licht wird auf die Entstehung des Menschen und seine Geschichte fallen", schrieb Charles Darwin 1859. Recht sollte er behalten. Der Begründer der Evolutionsbiologie revolutionierte das Selbstbild des Menschen und erschütterte die biblische Weltsicht in den Grundfesten. Morgen vor 125 Jahren, am 19. April 1882, starb der britische Wissenschaftler in Downe bei London. Gestritten wird über seine Forschungen heute heftiger denn je.

Mit 22 Jahren schloss Darwin, fünftes Kind einer wohlhabenden Landarztfamilie, seine vielseitigen Studien in Cambridge ab. Am 27. Dezember 1831 startete er an Bord des englischen Forschungsschiffes "Beagle" von Plymouth aus zu einer fünfjährigen Expedition. Sein Abstecher auf die Galapagos-Inseln im Herbst 1835 war wohl die Initialzündung. Es faszinierte ihn, dass es auf jeder Insel dieses Archipels eine andere Rasse der Riesenschildkröte gab, die stets eine eigene Form des Rückenpanzers entwickelt hatte. Und er zählte 13 unterschiedliche Finken-Arten. Er sammelte die "Darwin-Finken", beschrieb ihre Farben ebenso wie die Formen ihrer Schnäbel, die dem Verzehr von Insekten, Beeren oder dem Stochern in Baumrinden angepasst sind. Eine ähnliche Entdeckung hatte Darwin zuvor auf den Falkland-Inseln vor der Ostküste Patagoniens gemacht, die er im März 1833 mit der "Beagle" besucht hatte.

Auf 800 Seiten hielt Darwin seine Entdeckungen und Beobachtungen fest. Die Fragen, die er sich während der Reise stellte, führten den bescheidenen Gelehrten zur Evolutionstheorie. 1859 erschien sein epochales Werk "Über die Entstehung der Arten", dessen 1250 Exemplare der Erstauflage noch am Erscheinungstag vergriffen waren. Fünfmal überarbeitete er es, dann war er zufrieden. Zwölf Jahre später, 1871, legte er seine Abhandlung über "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Abstammung" vor - damit brach der Streit richtig los. Die ersten Jahrzehnte erntete Darwin vor allem Kritik aus den Reihen christlicher Wissenschaftler und Theologen, weil sie die in der Bibel erzählte Schöpfung der Arten und insbesondere des Menschen durch Gott als wissenschaftliche Wahrheit betrachteten. Noch heute werben die Kreationisten oder deren moderne Vertreter des Intelligent Design (ID) für dieses Weltbild, das vor allem in den USA auf fruchtbaren Boden fällt. 47 Prozent der US-Bürger, so eine Gallup-Umfrage, glauben daran, in vielen Bundesstaaten soll Evolutionsbiologie aus den Schulen verbannt werden.

"Ich bin auch dagegen, dass die darwinsche Abstammungslehre in ihrer Version von 1859/1872 als alleinige These im Biologie-Unterricht gelehrt wird", betont Ulrich Kutschera, Evolutionsbiologe an der Uni Kassel. "Denn die moderne Evolutionstheorie geht über Darwin hinaus. Beispielsweise ging Darwin davon aus, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden. Das haben schon die Neodarwinisten wenige Jahre später widerlegt. Darwin setzte nur auf Konkurrenz, Evolution durch Kooperation kannte er nicht. Darwin konnte nicht ahnen, dass extraterrestrische Ereignisse wie Meteoriteneinschläge oder geologische Prozesse entscheidende Evolutionsfaktoren sind. Für ihn war die Welt stabil. Auch die evolutionäre Rolle von Bakterien und Einzellern war ihm, wie auch seinen Zeitgenossen, unbekannt", so Kutschera.

"Gleichwohl erklärte er die Artenvielfalt auf unserer Erde", urteilt Manfred Eigen im Gespräch mit dem Abendblatt. Der Chemie-Nobelpreisträger (1967), der in Göttingen wohnt, redigiert zur Stunde in La Jolla (Kalifornien/USA) die letzten Seiten seines neuen Werkes zur Evolutionsbiologie. "Seit Darwin gelebt hat, haben viele Wissenschaftler praktisch und theoretisch dazu beigetragen, Darwins Gesetz der Evolution durch natürliche Auslese zu vertiefen, komplexe Sachverhalte aufzuklären."

Nehmen wir das Auge. "Anzunehmen, dass das Auge mit all seinen unnachahmlichen Vorrichtungen durch natürliche Selektion entstanden sein könnte, scheint, ich gebe es offen zu, im höchsten Grade absurd", hatte Darwin notiert. Gleichwohl hielt er daran fest, dass sich alle komplexen Augen aus einem primitiven Urauge entwickelt haben. Die Beweise dafür entdeckte der Genetiker Walter Gehring (Basel) etwa 150 Jahre später. "Erstens ist allen Augen das Sehpigment Rhodopsin gemeinsam", erläutert Manfred Eigen. "Zweitens ist auch das Hauptkontroll-Gen, das die Augenentwicklung steuert, von den Blattwürmern bis zum Menschen immer an der Augenentwicklung beteiligt. Die unterschiedlichen Augen von Insekten und Wirbeltieren müssen nicht unterschiedlichen Ursprungs sein, sondern gehen vermutlich auf ein Urauge zurück. Das bestätigt Darwins Theorie eindrucksvoll." Die ersten Lebewesen, die zu sehen vermochten, tummelten sich vermutlich vor 540 Millionen Jahren auf der Erde - im Urmeer des frühen Kambriums.

Und seit knapp zwei Monaten haben die Evolutionsbiologen einen weiteren Zeugen für Darwins Theorie. Sie hätten, schrieben Wissenschaftler aus Heidelberg und Basel in der Zeitschrift "Current Biology", "die Geburt einer neuen Proteinstruktur in der Evolution" beobachtet. Wenige Mutationsschritte reichten aus, so stellten die Forscher fest, damit ein Einweiß in der Hülle des Süßwasserpolypen sich grundlegend veränderte, völlig neue Merkmale entstanden. Diese Geschichte hätte Darwin sicherlich begeistert. "Doch Darwin wusste genauso wenig von Molekülen, wie die Moleküle von Darwin wissen", schmunzelt Manfred Eigen.

Dabei sind es vor allem die modernen Techniken der Molekularbiologie, die den Forschern neue Einblicke in die Evolution eröffnen. Mit ihrer Hilfe kann man erklären, warum unser Erbgut zu 97,5 Prozent mit dem der Schimpansen übereinstimmt - und wir doch keine Affen sind. Es werden nämlich nicht nur Gene, sondern auch deren Gespräch untereinander im Zuge der Evolution verändert. Dieser Trick eröffnet einen unglaublichen Gestaltungsraum. Zumal im Erbgut nicht nur die vorteilhaften Veränderungen erhalten bleiben, sondern auch solche, die nicht weiter auffallen. "Diese neutralen Mutationen sichern die Anpassungsfähigkeit einer Art", erläutert Eigen. Verändern sich die Anforderungen, verändern sich auch diese neutralen Varianten - und etwas Neues, was wir bis dahin nicht gesehen haben, entsteht. "Im Grunde waren Darwins Ideen goldrichtig, es sind inzwischen viele Details dazugekommen. Was Darwin aber nicht wiederlegt, sondern nur vertieft", resümiert Manfred Eigen.

Darwins letzter Weggefährte verstarb übrigens erst kürzlich: Im Alter von 176 Jahren erlag seine Schildkröte Harriet Mitte 2006 im Australia-Zoo im australischen Bundesstaat Queensland einem Herzversagen. Darwin hatte sie 1835 von den Galapagosinseln mitgebracht.