ABENDBLATT: Herr Stolt, Sie waren lange als Hauptpastor stark gefordert. Und sind vor 15 Jahren in den Ruhestand gegangen, haben seitdem u. a. Bücher geschrieben, sind nach Santiago de Compostella gepilgert.

Wie würden Sie das Älterwerden aus Ihrer Sicht beschreiben?

PETER STOLT: Zwei Seiten sind mir wichtig geworden: Man muss im Alter viel hinter sich lassen, und man muss sich vor allen Dingen etwas Neues vornehmen. Es gibt dafür keine Konzeption, weil jedes Altern verschieden vor sich geht. Gut wäre ein Ritual. Zu viele Menschen sehen das Alter als eine Niederlage.

Für mich ist es auch eine Befreiung. Endlich kann ich studieren, was immer liegen geblieben ist.

Und ich habe Zeit für Freunde und besonders für meine Ehe. Mir ist erst jetzt klar geworden, wie sehr meine Frau durch meinen Beruf zurückgesteckt hat. Endlich haben wir mehr Zeit füreinander.

ABENDBLATT: Hat das Älterwerden etwas in Ihrem Glauben verändert?

STOLT: Paulus sagt. "Auch wenn der äußere Mensch verdirbt, so wird doch der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert." In diesem Sinne ist Alter eine Frage der seelischen Energie. Jedenfalls ist der Glaube für mich eine große Hilfe bei dem Weg in das neue Land des Alterns. Früher haben mich die großen dogmatischen Richtungen interessiert. Heute ist es der Gedanke der Auferstehung, der mich beschäftigt und tröstet. Die Idee, dass aus dem Leben noch etwas Neues heraus wächst. Mit dem Tod ist nicht alles vorbei, als hätte man den Lichtschalter ausgeknipst.

ABENDBLATT: Gibt es den Jüngeren gegenüber eine besondere Verantwortung? Was können sie von den Älteren erwarten?

STOLT: Ja, natürlich gibt eine Verantwortung. Aber ich denke, das Miteinander der Generationen muss neu gestaltet werden. Oft sind die Eltern für ihre Kinder nicht die besten Ratgeber. Großeltern z.B. haben oft einen besseren, weil entspannten Kontakt zur jungen Generation. Gleichzeitig wird ihr Rat eher angenommen. Da könnte eigentlich die Gemeinde ein Modell sein, das die zerfallende Großfamilien, in der wir alle nicht mehr leben, ersetzt. Nehmen Sie die Feier der Goldenen Konfirmation. Gewöhnlich ist sie ein großes Erinnerungsfest. Sie müsste aber den Blick nach vorn lenken. Oft sitzen die Alten wie im Ghetto beisammen. Ich würde mich freuen, wenn ein Pastor mal die Brücke zur Jugendarbeit baut und Kontakte moderiert.

ABENDBLATT: Gibt es für Ihre Haltung zum Alter ein Vorbild in der Bibel?

STOLT: Abraham, war schon 75 Jahre alt, als ihm Gott sagte: "Gehe hin in ein Land, das ich dir zeigen will." Erstaunlich, in dem Alter noch mal so herausgefordert zu werden. Aber so ist es. Auch für mich. Ich habe die Zeit des Alters als einen Eintritt in ein völlig neues Lebensgebiet erlebt. Nicht als letzte Stufe, von der aus es nur noch bergab geht, sondern als ein neues Land, für das sich die Mühe lohnt, noch mal eine neue Sprache zu lernen.