Jugendkrawalle: Brände Nacht für Nacht. Gewalt in Vorstädten mit ihren Integrationsproblemen springt von Paris auch auf Marseille und Dijon über.

Paris. Die seit mehr als einer Woche andauernden Krawalle in Pariser Vorstädten drohen zu einem Flächenbrand zu eskalieren. Am Freitag erfaßten sie auch Marseille im Süden und Dijon im Osten des Landes. Der Druck auf die bürgerliche Regierung von Premier Dominique de Villepin wächst unaufhörlich.

Wieder gingen Hunderte Autos sowie Geschäfte, Lagerhäuser und ein Depot mit 27 Linienbussen in Flammen auf. Eine behinderte Frau erlitt schwere Brandverletzungen, als Vermummte am Regionalbahnhof Sevran-Baudottes einen mit 50 Fahrgästen besetzten Bus mit Molotowcocktails angriffen. Auch Rathäuser, Schulen und Polizeiwachen waren wieder Ziel der Attacken. Aus Sicherheitsgründen wurde im Department Seine-Saint-Denise nordöstlich von Paris der Bus- und S-Bahn-Verkehr fast vollständig eingestellt.

Insgesamt nahm die Polizei landesweit bisher 230 Randalierer fest, mehr als 1200 Fahrzeuge wurden zerstört. Der Bürgermeister des im Nordosten von Paris gelegenen Drancy, Jean-Christophe Lagarde, warnte: "Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist ein Toter. Dann entgleitet uns die Kontrolle völlig."

Auslöser der Exzesse war der Tod zweier Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois gewesen; sie hatten sich vor der Polizei in einem Transformatoren-Häuschen versteckt und Stromschläge erlitten. Jedoch entlädt sich in den Krawallen auch der Frust der oft arbeitslosen Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer. Für diese waren in den vergangenen 40 Jahren die Getto-ähnlichen Trabantenstädte am Rande der Metropolen errichtet worden.

Der wegen seiner radikalen Äußerungen umstrittene Innenminister Nicolas Sarkozy sprach von "perfekt organisierten" Krawallen. Die Vorfälle hätten "nichts Spontanes". Nach Polizeiangaben gingen die Angriffe von kleinen, hoch mobilen Gruppen von Jugendlichen aus. Sozialisten-Sprecher Julien Dray sagte, die Sicherheitskräfte stünden inzwischen einer "wahrhaften Stadt-Guerilla" gegenüber.

Der Bruder eines der beiden vom Stromschlag getöteten Jungen, Silyakah Traore, forderte am Freitag seine Altersgenossen auf, die Unruhen zu beenden. Sie sollten "sich beruhigen und aufhören, mehr oder weniger alles zu verwüsten". Im Radiosender RTL sagte er: "Auf diese Weise wird es uns nicht gelingen, uns Gehör zu verschaffen." Besonders kritisierte er die Angriffe auf Feuerwehrleute. "Die sind es, die uns das Leben retten. Wir brauchen sie."

Premier Villepin wollte am Wochenende 16 Jugendliche aus den betroffenen Vorstädten in seinem Pariser Amtssitz empfangen und mit ihnen über ihre Schwierigkeiten und mögliche Lösungen der Probleme diskutieren.