LONDON. Die schweren Ausschreitungen jugendlicher Randalierer rund um Paris erinnern viele Briten an Gewaltexzesse in englischen Städten. Zuletzt lieferten sich Ende Oktober karibische und asiatische Jugendbanden Straßenschlachten in Birmingham. Ein Mensch starb. 600 Polizisten waren im Einsatz, um wieder Ruhe herzustellen. Noch immer gärt es deswegen.

Auf dem Friedhof von Birmingham wurden nach Polizeiangaben vom Freitag 35 bis 45 muslimische Gräber geschändet. Außerdem wurden auf dem Friedhof Flugblätter mit rassistischen Inhalten verstreut. Die Polizei befürchtet, daß die Unruhen wieder aufflammen könnten. Schon vor zwei Wochen waren Warnungen lautgeworden: Die Auseinandersetzungen zeigten, wie zerbrechlich die multikulturelle Gesellschaft Großbritanniens sei, meinten Kommentatoren wie Politiker.

Doch gerade das multikulturelle Nebeneinander, das Minderheiten viele Freiheiten einräumt, wird angesichts der Pariser Krawalle auch als Bedingung eines friedlichen Miteinanders hervorgehoben. Denn die Unruhen in Paris seien der beste Beweis, daß "Frankreichs Beharren auf Integration und Angleichung gescheitert ist", schreibt der liberale "Independent".

Tatsächlich übt die Regierung wenig Druck aus auf seine ethnischen Minderheiten, denen über 4,5 Millionen Menschen angehören. Muslimische Frauen können Kopftücher tragen, egal welche Position sie innehaben. Moscheen gehören fest zum Stadtbild britischer Metropolen. Viele Geschäfte in Londons "China Town" zeichnen Waren nicht einmal in Englisch aus.

Zudem ist die britische Wirtschaft in einer lang andauernden Boomphase. Die Arbeitslosigkeit liegt bei unter fünf Prozent. Gerade die asiatischen Einwanderer aus dem früheren Commonwealth sind fest im Wirtschaftsleben verankert: Neben Curry-Restaurants und -Imbissen gehören ihnen Tausende Tante-Emma-Läden. Viele Pakistaner und Inder arbeiten als Ärzte oder in anderen Branchen.

Doch die Jungen machen Sorgen. Obwohl häufig in Großbritannien geboren, schotten sie sich ab, fühlen sich weder in der Gesellschaft der Weißen noch in der ihrer Eltern zu Hause. Eine Studie fand kürzlich heraus, daß die meisten Menschen in Großbritannien ausschließlich Freunde aus dem Kreis ihrer ethnischen Zugehörigkeit haben.

Auch der Vorsitzende der Kommission für ethnische Gleichberechtigung (CRE), Trevor Philips, warnt vor einer Abschottung der Kulturen. Großbritannien "schlafwandelt in die Rassentrennung", warnte er kürzlich in einer Rede. Dabei verliefen die Konfliktlinien zunehmend zwischen Arm und Reich.