Immer mehr Details kommen in der Affäre um Bundespräsident Christian Wulff ans Licht. Der Druck auf die Landesregierung in Hannover wächst.

Hannover/Berlin. Nach seinem entlassenen Sprecher ist ein weiterer Vertrauter von Bundespräsident Christian Wulff in die Kritik geraten. Lothar Hagebölling, heute Chef des Bundespräsidialamtes, soll nach Zeitungsinformationen 2010 im niedersächsischen Landtag nicht die Wahrheit gesagt haben. Damals bestritt er die Mitfinanzierung eines privat organisierten Wirtschaftstreffens durch das Land. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff war Hagebölling Leiter der Staatskanzlei. Neben den Vorwürfen gegen Hagebölling sind auch neue Anschuldigungen gegen Wulffs früheren Sprecher Olaf Glaesecker aufgetaucht.

Hagebölling hatte nach Angaben der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ 2010 im Landtag erklärt, es habe für den sogenannten Nord-Süd-Dialog keine „Beteiligung oder Finanzierung durch das Land“ gegeben. Tatsächlich habe das Landwirtschaftsministerium aber bereits Monate zuvor 3411 Euro für Kochbücher bezahlt, die den Gästen von Veranstalter Manfred Schmidt geschenkt worden seien, meldete das Blatt. Laut NDR hatte Glaesekers Frau an dem Buch „Raspers Rezepte: Niedersachsens Küche neu entdeckt“ selbst mitgearbeitet.

Durch die neusten Enthüllungen wächst der Druck auf die Landesregierung in Hannover , die zunehmend in Erklärungsnot gerät. Noch am Donnerstag hatte Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) im Landtag bekräftigt, es habe keine finanzielle Beteiligung der Landesregierung an dem Wirtschaftstreffen gegeben, das für den Eventmanager Schmidt höchst lukrativ gewesen sein soll. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass die Auskunft von Möllring nicht stimmte.

Tatsächlich soll Glaeseker damals als Regierungssprecher dafür gesorgt haben, dass 44 Studenten der Medizinischen Hochschule Hannover bei der Veranstaltung halfen. Eine Begleichung der Rechnung über 5245 Euro soll er aber abgelehnt haben. Möllring kommentierte diese Informationen am Freitag mit den Worten, er fühle sich von Glaeseker „beschissen“. Dieser steht inzwischen unter Korruptionsverdacht, Schmidt wird der Bestechung verdächtigt.

Laut „Bild am Sonntag“ soll Glaeseker von seinen Beziehungen zu dem Partyveranstalter noch stärker als bislang bekannt profitiert haben. So habe er von Schmidt neben Gratis-Urlauben auch Gratis-Flüge erhalten. Allein 2011 sei der Staatssekretär in mindestens fünf Fällen umsonst geflogen, darunter in die Türkei und nach Mallorca. Dafür habe er Schmidts VIP-Karte von Air Berlin genutzt. Zu diesem Zeitpunkt war Glaeseker bereits im Bundespräsidialamt für Wulff tätig. Ein Firmensprecher von Air Berlin sagte der Zeitung, dass man aus Datenschutzgründen keine Auskünfte zu Kundendaten oder Flugbuchungen gebe.

Angesichts der neuen Vorwürfe rief der niedersächsische Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel den Bundespräsidenten im Deutschlandfunk zum Rücktritt auf. Im Radiosender FFN warf er zugleich die Frage auf, ob Finanzminister Möllring noch zu halten ist. Der habe das Parlament „belogen“. Aus Sicht von SPD-Fraktionschef Stefan Schostok hat er „nicht vollständig und nicht wahrheitsgemäß informiert“. Der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sagte Schostok: „Wir fragen uns jetzt: Hat Herr Möllring das Parlament getäuscht oder wurde er von Wulff getäuscht.“

Wullfs Nachfolger als Ministerpräsident, David McAllister (CDU), wies den Vorwurf der Falschinformation zurück. Seine Regierung habe im Parlament in dieser Woche nach bestem Wissen auf Fragen der Opposition geantwortet, sagte er nach einer CDU-Klausur in Walsrode. Die Regierung werde sich „ohne Rücksicht auf Personen“ um Aufklärung bemühen. Die Staatskanzlei sicherte eine Klärung der neuen Vorwürfe an diesem Montag zu. Regierungssprecher Oliver Wagner sagte, alle Landesbehörden seien gefordert, Dinge, die zur Aufarbeitung des Nord-Süd-Dialogs und des „Systems Glaeseker“ beitragen könnten, „schonungslos offenzulegen“. „Viele Fragen wird nach den bisherigen Erfahrungen aber nur Herr Glaeseker beantworten können.“

Nach Ansicht der SPD hat die Wulff-Affäre mit der Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen Glaeseker eine neue Dimension erreicht. „Es ist bedrückend, wenn der engste Vertraute des Bundespräsidenten jetzt unter dem Verdacht der Bestechlichkeit steht“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann der „Frankfurter Rundschau“ (Samstag).

Gauck: Nicht Vertrauen der Bürger verspielen

Der ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck warnt angesichts der anhaltenden Debatte über Christian Wulff vor einem Vertrauensverlust der Politik und ihrer Repräsentanten. „Wenn sich Politiker das Vertrauen nicht erwerben oder nicht halten können, dann sind sie in der Politik gefährdet“, sagte Gauck der Schweizer Zeitung „Der Sonntag“ laut Vorabbericht. Die Menschen sehnten sich nach Figuren, denen sie Vertrauen schenken können.

Der frühere DDR-Bürgerrechtler kritisierte zugleich, dass Politiker heute dazu neigen, zu schwierigen Themen möglichst wenig zu sagen. „Dabei müssten sie etwas dafür tun, Vertrauen zu gewinnen. Dazu gehört es, komplexe Themen zu erklären – aber auch, Irrtümer, die man einmal gemacht hat, zuzugeben“, mahnte Gauck.

Die Frage, ob er im Falle eines Rücktritts von Wulff erneut für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren würde, ließ Gauck unbeantwortet.

SPD sieht den Landtag von der Regierung getäuscht

Der niedersächsische SPD-Oppositionsführer Stefan Schostok ist davon überzeugt, dass der Landtag von der Regierung bei der Glaeseke-Affäre getäuscht wurde. „Wir fragen uns jetzt: Hat Herr Möllring das Parlament getäuscht oder wurde er von Wulff getäuscht“, sagte Schostok der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Die Opposition habe Belege dafür, dass Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) das Parlament in dieser Woche nicht wahrheitsgemäß informiert habe. Wenn der Minister selbst durch den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff getäuscht worden sein sollte, könne der Bundespräsident „nicht im Amt bleiben“, fügte Schostok hinzu. Mit Material von dpa und dapd