Joachim Gauck ist der gemeinsame Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten und soll auf der Bundesversammlung am 18. März gewählt werden. Vor der Kandidatenkür allerdings tobte und schrie Bundeskanzlerin Angela Merkel im Kanzleramt.

Berlin. Die Bundesversammlung, die Joachim Gauck zum Bundespräsidenten wählen soll, ist für den 18. März einberufen worden. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) teilte am Montag in Berlin mit, dass die 15. Bundesversammlung an diesem Tag im Berliner Reichstagsgebäude stattfinden wird.

Nach dem Rücktritt des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff muss die Bundesversammlung, die aus 1.240 Wahlleuten besteht, ein neues Staatsoberhaupt wählen. Nachdem sich ein breites Bündnis aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen für den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck ausgesprochen hatte, gilt dessen Wahl als sicher. Daher ist auch wahrscheinlich, dass die Wahl mit einem Wahlgang beendet sein wird. Unterdessen dürfte es im Kanzleramt denkbar ungemütlich gewesen sein, an diesem denkwürdigen Sonntagnachmittag. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Vizekanzler Philipp Rösler zum Vier-Augen-Gespräch geladen. Und dieses war geladen vor Emotion. Die Kanzlerin wurde so laut, dass selbst vor der Tür dem Gespräch gefolgt werden konnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in dem Gespräch zum Erschrecken von Unionsmitgliedern sogar die Koalitionsfrage gestellt - und drohte, die FDP-Minister auch rausschmeißen zu können. Angela Merkel brüllte den Chef des kleinen Koalitionspartners FDP an: "Wollt Ihr das?“

Aber der Reihe nach: Noch in der Pause der Verhandlungen versicherte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel über einen überparteilichen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt per Telefonschalte, ob ihre CDU-Präsidiumsmitglieder wie sie selbst gegen den DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck sind. Dabei stellte die Kanzlerin zu Beginn fest, dass der Favorit von SPD und Grünen für sie nicht in Frage komme, Gauck sei ein Mann der Vergangenheit und für das Amt nicht breit genug aufgestellt, heißt es am Montag in CDU-Kreisen.

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Merkel fragt in die Runde: "Sieht das jemand in der Runde anders?“. Niemand widerspricht der Kanzlerin. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) habe noch gefragt, ob die FDP denn eigene Kandidaten-Vorschläge gemacht habe. Ja – aber der Name Joachim Gauck fällt hier noch nicht. Favorit der CDU sei der frühere CDU-Umweltminister Klaus Töpfer, stellt Merkel klar. Einige Präsidiumsmitglieder haben Bauchschmerzen, trauen sich aber nicht, der Chefin das zu sagen.

Einer jedoch, Philipp Rösler, allerdings machte der Kanzlerin Merkel seit dem Rücktritt von Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten am Freitag mehrfach klar, dass die FDP Töpfer nicht mittragen werde, weil das ein Signal für Schwarz-Grün sei. Merkel ignoriert das. Und sie verkalkuliert sich. Kurz nach der CDU-Schalte schlägt die Nachricht der FDP-Unterstützung für Gauck in Merkels Handy ein. Die Kanzlerin ist fassungslos. Weggefährten sahen die 57-Jährige nach eigenem Bekunden selten in einem solchen Zustand.

Während ihres Ausbruchs vor Rösler sollen die Vorsitzenden der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), und der FDP-Fraktion, Rainer Brüderle, die Köpfe zusammengesteckt haben. Brüderle habe betont gelassen an der verfahrenen Lage nichts mehr ändern wollen, heißt es. Kauder soll dann Merkel vor Augen gehalten haben, dass ein Bruch der Koalition der Union angelastet werden würde.

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Denn Gauck wäre wohl dennoch als Kandidat angetreten. Laut Umfragen ist der ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde für die Bürger auch eindeutig die Nummer eins. CDU und CSU hätten keinen eigenen Kandidaten in der Bundesversammlung durchbringen können. Dann hätte Merkel im negativen Sinne einen politischen Hattrick gelandet - bei der Auswahl des Bundespräsidenten zum dritten Mal in Folge in ihrer Amtszeit daneben zu liegen. Merkel lenkt schließlich ein.

Sie soll aber nicht nur ihre nationale Verantwortung im Auge gehabt, sondern auch an die Börsen am Montagmorgen gedacht haben. Ein Bruch ausgerechnet der deutschen Regierung, die sie als Kanzlerin in der Euro-Krise zum Stabilitätsfaktor der Premiumklasse machte, hätte international tiefste Verunsicherung ausgelöst. Das sehen auch Kontrahenten bei der SPD so.

In der Union wurden am Montag zwei Sieger der Gauck-Nominierung ausgemacht: SPD-Chef Sigmar Gabriel und Rösler. Aber das sei eine Momentaufnahme, sagt ein hochrangiger CDU-Abgeordneter. Viele Wähler würden Merkel Respekt zollen, dass sie am Ende über ihren Schatten gesprungen sei. Damit habe sie Größe gezeigt. Und jeder Mensch dürfe sich auch einmal in Rage reden und die Fassung verlieren.

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Klar sei außerdem: Mit dem 19. Februar 2012 sei die Schonzeit für die FDP beendet. Von Revanche ist teils die Rede. Die FDP solle nicht glauben, dass die Union etwa noch ein Gänsefüßchen auf sie in Sachen Vorratsdatenspeicherung zugehen werde. CSU-Chef Horst Seehofer soll der FDP Konsequenzen auch für Schwarz-Gelb in Bayern angedroht haben. Es heißt, die FDP müsse mit ihren 2-Prozent-Umfrageergebnissen von nun an bei jedem Streit zittern.

Am Sonntagabend sehen die Koalitionsspitzen anders als sonst keinen Grund, nach einem harten Tag noch auf ein Gläschen Wein zusammenzusitzen. "Der Abend war schon spät genug und die Tage waren lang genug gewesen“, begründet Regierungssprecher Steffen Seibert nüchtern. In Dreier-Runde zusammen kommen vor Mitternacht nur Merkel, Kauder und die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt.

Später heißt es, vielleicht sei das Ringen um Gauck Merkels größte Niederlage in ihrer zweiten Amtszeit. Gabriel sagt am Tag danach: "Frau Merkel wird sich das, was sie gestern erlebt hat, ja auch merken.“ Vorboten einer Zusammenarbeit von SPD und FDP wehrt er schnell ab. Jeder Koalitionspartner müsse sich ja auf ein FDP-Verhalten wie in der Gauck-Frage einstellen, sagt er nur. Gabriel meint, Gerhard Schröder (SPD) hätte in seiner Kanzlerschaft bei einem vergleichbaren Verhalten der Grünen die Koalition wohl platzen lassen.

Von Kristina Dunz und Tim Braune