Die Findung des neuen Bundespräsidenten gestaltete sich komplizierter als erwartet. Zeitweise stand die schwarz-gelbe Koalition vor dem Zerbrechen.

Berlin. Nach 48 Stunden Warnungen, Drohungen und Koalitionszoff stand am Ende die große Einigkeit. CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne präsentierten gemeinsam den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt. Als „wahren Demokratielehrer“ bezeichnete Kanzlerin Angela Merkel den 72-Jährigen. Dieser zeigte sich überwältigt und ein wenig verwirrt.

+++ Gauck soll Bundespräsident werden: Die Reaktionen +++
+++ Porträt: Joachim Gauck - Freiheit als Lebensthema +++

Gauck entspricht dem Anforderungsprofil an den neuen Bundespräsidenten mehr als jeder andere der gehandelten Kandidaten. Er gilt als integer und redlich, ist bei den Bürgern beliebt, steht über den Parteien, hat aber stets den Respekt einer breiten politischen Mehrheit erhalten. Nun schickt sich der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde an, als erster Ostdeutscher das höchste Staatsamt der Bundesrepublik zu erklimmen. Vor zwei Jahren hatten ihm Union und FDP noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt tragen sie ihn mit.

Bei der Kandidatur 2010 war Gauck auf dem Ticket von SPD und Grünen gefahren und hätte seine Außenseiterchance fast nutzen können. Wirklich gute Argumente gegen Gauck hatten auch die schwarz-gelben Truppen nicht.

Erst im dritten Wahlgang konnten Union und FDP ihren Kandidaten, den vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff durchsetzen. Der „Wahlkampf“ war weitgehend fair verlaufen, was Wulff nach der Wahl ausdrücklich anerkannte. Nachdem Wulff am Freitag das Handtuch geworfen hatte, schoben die Sozialdemokraten Gauck erneut ins Rampenlicht. Als ihren „Favoriten“ bezeichneten sie den 72-Jährigen zugleich, ohne aber auf seiner Kandidatur zu beharren.

In den Blitzumfragen nach dem Wulff-Rücktritt hatte Gauck im Bürgervotum die Nase vorn. Am Freitagabend bei einem Auftritt in Koblenz hatte sich Gauck noch bedeckt gehalten und wollte weder den Rücktritt Wulffs noch eigene Ambitionen kommentieren. „Mein Terminkalender ist gut gefüllt und ich bin ein beschäftigter, glücklicher Mann“, sagte der 72-Jährige. Am Sonntag war er gerade aus dem Flieger in ein Taxi gestiegen, als ihn der Anruf Merkels ereilte. Nicht einmal gewaschen sei er, gestand Gauck ein.

Schon vor anderthalb Jahren hatte seine Nominierung bei den Bürgern und im Internet Begeisterungsstürme ausgelöst. Dem Freiheitsprediger Joachim Gauck flogen die Herzen der Bundesbürger zu und auch im Regierungslager wurden Sympathien für ihn deutlich.

Der im Kriegsjahr 1940 als Kapitänssohn in Rostock geborene Gauck wollte in der DDR eigentlich Journalist werden, erhielt aber keinen Studienplatz für Germanistik. Kein Wunder, hatte er sich doch der Pionierorganisation ebenso verweigert wie der Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“. Also studierte er nach dem Abitur evangelische Theologie und wurde Pfarrer.

Im Wendejahr 1989 engagierte sich Gauck im Neuen Forum. Dort kümmerte er sich um die Aufdeckung des Überwachungsapparates der DDR. Dieses Aufgabenfeld sollte Gauck in den folgenden elf Jahren nicht mehr loslassen. Das Amt des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ übte er überaus streitbar aus.

Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) etwa, dessen Kontakte zur Stasi jahrelang die deutsche Politik beschäftigten, fühlte sich von Gauck ungerecht behandelt. Konflikten geht der streitbare Intellektuelle also nicht aus dem Weg und der Kampf für die Freiheit ist sein Lebensmotto. Über das höchste Staatsamt hat der redegewandte Gauck zudem präzise Vorstellungen: „Als Repräsentant des ganzen Volkes kann der Bundespräsident zwischen den Regierten und den Regierenden vermitteln und zu einer besseren Verständigung zwischen ihnen beitragen.“

Bei seinem Abschied als Chef der Stasiunterlagenbehörde sagte Gauck im Jahr 2000, Bundespräsident wolle er nicht werden. Ein Mecklenburger wisse um seine eigenen Grenzen. 2010 versuchte Gauck es noch erfolglos. Bei der unverhofft schnellen zweiten Chance klappt es nun.

Nahles: Gauck muss Kluft zwischen Politik und Bürgern schließen

Nach der Nominierung Joachim Gaucks für das Amt des Bundespräsidenten erhofft sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles mehr Nähe zwischen dem Staatsoberhaupt und den Bürgern. Gauck werde jetzt vor allem versuchen, den Dialog mit den Bürgern zu suchen, sagte Nahles am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Sie betonte: „Das erwarte ich mir eigentlich auch von ihm, dass er die Kluft zwischen Politik und Bürgen wieder ein bisschen kleiner macht.“

Der Bundespräsident sei dazu da, „der Politik, den Menschen im Land die Leviten zu lesen“. Dies könne Joachim Gauck mit einer „hohen moralischen Autorität“, fügte Nahles hinzu. Dies sei genau das, was das Amt nach zwei Rücktritten brauche.

Kubicki lobt Verhalten der Union bei Nominierung Gaucks

Der FDP-Fraktionsvorsitzende in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, hat das Einlenken der Union bei der Nominierung Gaucks begrüßt. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe offenbar erkannt, dass ihr eigener Anspruch, eine große Mehrheit in der Bundesversammlung herzustellen, nur mit diesem Kandidaten möglich sei, sagte Kubicki am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Koalition habe mit der schnellen Einigung auf einen Kandidaten Handlungsfähigkeit gezeigt.

Vogel kritisiert FDP und verteidigt Merkel

Der frühere Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, hat die FDP für ihr Vorgehen bei der Präsidentensuche kritisiert. Das Verhalten der Liberalen sei „nur schwer zu verstehen“, sagte Vogel am Montag im Deutschlandradio Kultur. Die FDP habe damit ihre Koalitionsverpflichtungen verletzt. Das werde „natürlich noch Diskussionen auslösen“, sagte Vogel voraus. Vogel verteidigte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel schließlich auf Gauck einschwenkte. Diese habe damit dem Land eine „Zerreißprobe“ erspart und selbst ein „Opfer“ gebracht.

Gröhe: Jetzt nicht gegenüber der FDP nachkarten

Nach dem Koalitionskrimi um die Nominierung von Joachim Gauck bemüht sich die Union um eine Beruhigung der Lage. „Die Würde des Amtes und auch das Ansehen von Joachim Gauck verbieten es jetzt, irgendwie nachzukarten im Hinblick auf mitunter nicht leichte Entscheidungsprozesse“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Montag im „Morgenmagazin“ des ZDF. „Wir haben als Koalition gemeinsam einen Auftrag, den verfüllen wir verlässlich.“

Mit Material von dapd und dpa