Für den Aufsichtsrat wird ein unabhängiger Experte gewünscht. Finanzministerium lehnt Brandenburgs Ministerpräsidenten ab.

Berlin/Schönefeld. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beobachtet das Debakel rund um den Großflughafen Berlin mit großer Sorge. Die Kanzlerin sei „natürlich beunruhigt“ über Meldungen von der Baustelle, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Zu Medienberichten, das Finanzministerium wolle den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) nicht als neuen Aufsichtsratschef, sagte der Sprecher des Ministeriums nur: „Ich kommentiere diese Spekulation nicht.“

Seibert erklärte, im Aufsichtsrat des Flughafens, in dem der Bund mit einem Finanz- und einem Verkehrsstaatssekretär vertreten ist, werde die „einheitliche Meinung der Bundesregierung“ federführend vom Verkehrsressort vertreten. „Im Übrigen haben wir noch kein ausreichend belastbares Bild, um wirklich beurteilen zu können, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen“, sagte Seibert. „Wir haben eine noch sehr unvollständige Kommunikation, wir sehen wirklich noch nicht genau die notwendigen Schritte, die notwendigen Arbeiten, die möglicherweise daraus entstehenden Kosten – deswegen möchte ich mich hier von jeder Bewertung fernhalten.“

Nach Informationen der „Zeit“ dringt das Bundesfinanzministerium darauf, statt Platzeck einen unabhängigen Experten aus der Wirtschaft zum Chef des Aufsichtsrates zu machen. Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Berliner Flughafens waren zuletzt stark in die Kritik geraten, weil die Eröffnung des Flughafens bereits zum vierten Mal verschoben werden musste. Daraufhin kündigte der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) an, das Amt des Aufsichtsratschefs in der kommenden Woche niederzulegen, gleichzeitig soll Geschäftsführer Rainer Schwarz abgelöst werden.

Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, Johannes Blankenheim, sagte zu den angeblichen Bedenken seines Hauses gegen Platzeck: „Ich kann es nicht bestätigen, dass das so ist.“ Seinem Ministerium gehe es nicht vorrangig um den Aufsichtsrat, sondern um die Geschäftsführung des Flughafens. „Für uns als Bund ist es wichtig, die Gesamtverantwortung zu verorten, das tun wir beim Sprecher der Geschäftsführung Rainer Schwarz.“ Deshalb habe der Bund dessen Ablösung auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats am 16. Januar gesetzt.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) habe erklärt, der Bund als Minderheitseigner „ist zumindest hier nicht in die Rolle, den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen, sondern das machen die Mehrheitseigner – also die Länder Berlin und Brandenburg“, erklärte Blankenheim. „Alle weiteren Fragen sind an diese beiden Länder zu richten.“ Der Sprecher nannte es eine Unterstellung, in der Bundesregierung gebe es unterschiedliche Positionen: „Die gibt es nicht“, sagte er.

Berliner SPD steht hinter Wowereit

Die Berliner SPD steht nach den Worten ihres Landesvorsitzenden Jan Stöß in der Flughafen-Krise solidarisch zu ihrem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die Partei habe sich ausgetauscht und dann eine klare Entscheidung getroffen, dass Wowereit im Amt bleiben solle, sagte Stöß im rbb-Inforadio. „Wir sind eine solidarische Partei. Bei der FDP wäre es vielleicht so, dass man jetzt sagt, jetzt werden die Messer rausgeholt“, sagte Stöß dem Sender.

Der Berliner SPD-Chef bestätigte, dass Wowereit nach dem Bekanntwerden der vierten Verschiebung des Flughafen-Eröffnungstermins am Wochenende seinen Rücktritt angeboten habe. „In dieser Situation haben sowohl SPD-Chef Sigmar Gabriel als auch ich ihn gebeten, zu bleiben“, sagte Stöß. Er finde es richtig, dass Wowereit gesagt habe, man müsse Verantwortung für den Flughafen und für die Stadt übernehmen.

Im rbb-Inforadio zeigte sich Stöß überzeugt, dass die rot-schwarze Koalition beim Misstrauensantrag der Grünen und der Piraten geschlossen hinter Wowereit steht. „Ich gehe davon aus, das Klaus Wowereit mindestens die Stimmen der Koalitionsfraktionen vollständig kriegen wird. Da bin ich auch sehr zuversichtlich“, sagte Stöß auf die Frage nach möglichen Abweichlern in den eigenen Reihen.

Der Misstrauensantrag gegen Wowereit wird an diesem Donnerstag in einer Sondersitzung des Berliner Abgeordnetenhauses eingebracht. In der Debatte zur erneuten Verschiebung des BER-Starttermins wird auch der Regierende Bürgermeister reden. Die namentliche Abstimmung kann frühestens an diesem Samstag folgen – 48 Stunden nach dem Misstrauensantrag. Der Ältestenrat ims Parlament wollte am Mittag darüber entscheiden.

Suche nach Schuldigen im BER-Debakel

Nach dem jüngsten Debakel am künftigen Berliner Hauptstadtflughafen gehen die Angriffe gegen die Verantwortlichen unvermindert weiter. „Unsere Geduld mit der Flughafengesellschaft ist erschöpft“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Norbert Barthle (CDU), der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. „Wir wollen personelle Konsequenzen sehen.“

Barthle empfahl dem Bund, der selbst an dem Projekt beteiligt ist, Regressforderungen gegenüber Generalplaner, Baufirmen und Geschäftsleitung zu prüfen. Er verwies dazu auf ein geplantes Gutachten, mit dem untersucht werden soll, ob der Aufsichtsrat über die Probleme am Flughafen BER getäuscht worden ist.

Wann der Pannen-Airport eröffnet werden kann, ist angesichts immer größerer Probleme völlig ungewiss. Nach der neuerlichen Verschiebung der zuletzt im Oktober 2013 geplanten Eröffnung hatte Technikchef Horst Amann die Probleme des Milliardenprojekts „fast grauenhaft“ genannt.

Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin forderte Wowereit zum Rücktritt auf. „Wenn politische Verantwortung überhaupt noch einen Sinn hat, muss er auch als Bürgermeister zurücktreten. Wer so viel Steuergeld versenkt hat, der muss auch die Konsequenzen tragen“, sagte Trittin der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.

Wowereit hatte am Montag wegen der vierten Verschiebung des Starttermins für das Milliarden-Projekt sein Amt als Flughafen-Aufsichtsratschef an seinen bisherigen Stellvertreter Platzeck abgegeben.

Wowereits Parteifreund Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln, kritisierte die Rochade. „So richtig überzeugend ist das für die Berliner und Berlinerinnen natürlich nicht, weil ja quasi die gleichen Leute im Aufsichtsrat bleiben. Ich glaube, da hätte man ein bisschen frischen Wind gebraucht“, sagte der SPD-Politiker im rbb-Inforadio. Er selbst hätte Wowereit geraten, den Aufsichtsrat ganz zu verlassen.

Fluggesellschaften fürchten Millionenschäden durch BER-Desaster

Die Verzögerungen beim Bau des neuen Hauptstadtflughafens in Schönefeld könnten die Fluggesellschaften nach eigener Einschätzung Hunderte Millionen Euro kosten. Bis der Airport im Südosten Berlins betriebsbereit sei, könne der Schaden „leicht ein dreistelliger Millionenbetrag sein“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Klaus-Peter Siegloch, im Deutschlandfunk.

Wie die Unternehmen darauf juristisch reagierten, sei noch nicht endgültig entschieden, die Fluggesellschaften gingen aber eher von einer Schadenersatzpflicht aus, sagte Siegloch weiter. Air Berlin habe dazu bereits eine Feststellungsklage eingereicht. Insgesamt sei der Neubau inzwischen ein „Trauerspiel“, sagte Siegloch, „bei dem einem langsam auch die Worte fehlen“.