Gesundheit: Taxifahrten zum Arzt, Brillen, Sterbegeld - was Krankenkassen zukünftig nicht mehr erstatten.

Hamburg. Die "größte Sozialreform seit der Wiedervereinigung" soll es werden, was die Verhandlungsteams von Regierung und Opposition da in den letzten zwei Wochen zu Wege gebracht haben. Blättert man allerdings ein wenig intensiver in dem 20 Seiten starken Papier "Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform", dann stellt man vor allem eines fest: Konkret wird es nur an den Stellen, die höhere Belastungen für Versicherte und Patienten vorsehen. Für die anderen, viel mächtigeren Mitspieler im Gesundheitssystem gab es mehr Zuckerbrot als Peitsche. Versicherte und Patienten werden allein im Jahr 2004 mit 8,4 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Das steigert sich bis 2007 auf 11,6 Milliarden Euro. Die Leistungserbringer (Kassen, Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker, Pharmafirmen) müssen 2004 nur 1,5 Milliarden Euro beisteuern, bis 2007 sind es dann drei Milliarden Euro. Auf die Versicherten kommt ab 2004 folgendes zu:

  • Pro Besuch beim Arzt wird eine "Eintrittsgebühr" von zehn Euro pro Quartal fällig. Das Gesundheitsministerium geht von rund 415 Millionen abgerechneten Fällen aus - macht 4,2 Milliarden Euro. Dazu kommen 75 Millionen Fälle beim Zahnarzt - macht weitere 800 Millionen Euro.
  • Pro Medikament müssen künftig 10 Prozent, maximal aber zehn Euro zugezahlt werden - macht vier Milliarden Euro zusätzlich.
  • Pro Tag im Krankenhaus werden zehn Euro berechnet, maximal für 28 Tage. Mehreinnahme laut Ministerium: 1,4 Milliarden Euro.
  • Ab 2005 wird der Zahnersatz aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert und muss privat abgesichert werden. Einsparvolumen pro Jahr: 3,5 Milliarden Euro. Mehrkosten pro Monat für die Versicherten: mindestens 7,50 Euro.
  • Ab 2007 müssen Arbeitnehmer das Krankengeld allein finanzieren. Die Arbeitgeber werden davon entbunden. Bislang trugen sie die Hälfte der Beiträge. Die Versicherten sollen dann einen Pauschalsatz von 0,5 Prozent des Bruttogehalts bezahlen.
  • Versicherungsfremde Leistungen müssen selbst bezahlt werden: Sterbegeld, Sterilisation oder Taxifahrten zum Arzt. Sehhilfen gibt es nur noch für bis zu 18-Jährige. Künstliche Befruchtungen werden nur noch bei einer Selbstbeteiligung von 50 Prozent bezahlt. Es gibt auch nur noch drei statt vier Versuche.
  • Nicht verschreibungspflichtige Medikamente wie Hustensaft müssen grundsätzlich selbst bezahlt werden.
  • Bis 2005 werden Zigaretten um ein Euro pro Schachtel teurer. Im Gegensatz dazu nehmen sich die Maßnahmen für die so genannten Leistungserbringer eher bescheiden aus:
  • Ärzte müssen Fortbildungsnachweise erbringen, sonst kann es Honorarabzüge oder sogar den Entzug der Zulassung geben.
  • Eine "Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit" soll medizinische Standards festlegen und kontrollieren. Ärzte- und Kassenvertreter sitzen aber mit an der Spitze und überwachen sich selbst.
  • Die Pharmabranche muss für neue Medikamente ohne Zusatznutzen die günstigeren Festbeträge in Kauf nehmen. Reimportierte Arzneien müssen günstiger abgegeben werden, die Preisbindung für rezeptfreie Mittel fällt. Dafür gibt es keine Positivliste.
  • Apotheken müssen sich auf Konkurrenz von Versandapotheken einstellen. Jeder Apotheker darf künftig bis zu vier Läden besitzen.
  • Das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigungen bleibt bestehen. Nur im kleinen Rahmen können Kassen mit Ärztezentren eigene Verträge schließen. Unter dem Strich scheint die "Angst der Politik vor den Lobbys" übermächtig gewesen zu sein, wie Herbert Rebscher, Chef des Ersatzkassenverbandes, lästert. Der "große Wurf", wie viele Politiker gestern verkündeten, war es auf jeden Fall noch nicht. Der Vorstandschef des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK), Wolfgang Schmeinck, sagte: "Die Konsensgespräche scheinen statt einer grundlegenden Therapie lediglich Schmerzlinderung für das System gebracht zu haben."