Grünen-Fraktionschefin Renate Künast mahnt: Wulff lasse zu, dass das Präsidialamt von einem System von Gefälligkeiten umgeben sei.

Köln/Berlin. Neuer Angriff auf den Bundespräsidenten von Seiten der Grünen: Fraktionschefin Renate Künast hat von Bundespräsident Christian Wulff Aufklärung zum „System Hannover“ gefordert. Wulff lasse zu, dass das Bundespräsidialamt quasi umgeben sei von einem Amigo-System, dem „System Hannover“, sagte Künast am Dienstag in Berlin. „Er muss das System Hannover aufklären, sagen, was war, und sich entschuldigen.“

Künast meldete Zweifel daran an, dass Wulff von der Bezahlung einer Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch durch den Unternehmer Carsten Maschmeyer nichts gewusst habe. „Ich kann keine Tatsachen anführen, aber ich halte es für lebensfremd“, sagte Künast. „Soll denn ein renommierter Verlag in Deutschland, der das Buch über einen Ministerpräsidenten herausgibt, ernsthaft Geld für Anzeigen annehmen, wo der Autor vom Finanzier nichts weiß?“

+++Die Akte Wulff: Es gibt weitere Vorwürfe+++

+++Kommentar: Kredit verspielt+++

Die Finanzierung von Zeitungsanzeigen rieche nach einer trickreichen Umgehung des Parteispendenrechts. Ab 10.000 Euro müssten Spender genannt werden. Wer statt einer Parteispende den Weg der Anzeigenfinanzierung wählt, verhindere, dass der Name genannt werde.

Die Finanzierung der Anzeigenkampagne durch Maschmeyer ist nach Ansicht des Verlegers völlig unproblematisch. „Das ist in der Verlagsbranche üblich und ein absolut normaler Vorgang“, sagte Manfred Bissinger, der im Verlag Hoffmann und Campe den Bereich Corporate Publishing leitet, am Dienstag zu „Spiegel Online“. „Wir haben damals verschiedene Unternehmer, unter anderem Carsten Maschmeyer, angesprochen, ob sie sich an der Vermarktung des Buchs beteiligen würden."

Bissinger sagte weiter, die Finanzierung von Anzeigen durch Privatpersonen sei „kein Geheimnisgeschäft, da gab es nichts zu verbergen“. Von Wulff sei danach auch nicht gefragt worden. „Warum sollte ihn das auch interessieren?“

Der branchenübliche Buchvertrag sei mit Wulffs Interviewer Hugo Müller-Vogg geschlossen worden, sagte Bissinger. Wulff selbst habe kein Honorar erhalten. „Die Frage nach der Anzeigenfinanzierung ist da irrelevant.“

Das Buch des heutigen Bundespräsidenten mit dem Titel „Besser die Wahrheit“ war im Herbst 2007 erschienen. Mit den von Maschmeyer bezahlten Anzeigen wurde es während des niedersächsischen Landtagswahlkampfs des damaligen Ministerpräsidenten Wulff beworben.

Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung beglich Maschmeyer die Rechnung für die Werbung zu dem Interview-Buch in Höhe von 42.731,71 Euro aus seinem Privatvermögen. Die Zeitungsanzeigen für das Buch seien zwar zunächst vom Verlag Hoffmann & Campe bezahlt worden, berichtete das Blatt weiter. Am 2. November 2007 habe der Verlag die Rechnungen dann aber an Maschmeyer weitergereicht. Dieser habe den Betrag am 19. Februar 2008 beglichen – 23 Tage, nachdem Wulff erneut zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.

Maschmeyer erklärte der Zeitung zufolge, er habe die Anzeigen privat bezahlt, sie jedoch nicht steuerlich geltend gemacht. Mit Wulff habe er darüber nicht gesprochen. Wulff selbst ließ über seinen Rechtsanwalt Gernot Lehr erklären, ihm sei von den Zahlungen seines Freundes Maschmeyer nichts bekannt gewesen, wie die Zeitung weiter berichtete. Wulff steht wegen eines zinsgünstigen Privatkredits in Höhe von 500.000 Euro in seiner Zeit als niedersächsischer Regierungschef in der Kritik.

70 Prozent der Deutschen stehen hinter Wulff

Trotz seines umstrittenen Privatkredits stehen zwei Drittel der Deutschen weiterhin hinter Bundespräsident Christian Wulff. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap sprachen sich 70 Prozent der Bürger gegen einen Rücktritt des Bundespräsidenten aus, wie die ARD am Dienstag mitteilte. Nur 26 Prozent finden, Wulff sollte zurücktreten. Dem Bundespräsidenten steht derweil neuer Ärger ins Haus.

Allerdings halten 47 Prozent der Bundesbürger Wulff für nicht ehrlich und nur 41 Prozent für ehrlich. Etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) finden ihn glaubwürdig. Das sind 23 Prozentpunkte weniger als im Juli 2010. 44 Prozent halten das Staatsoberhaupt für nicht glaubwürdig (plus 29 Prozentpunkte).

Nur neun Prozent der Deutschen finden es in Ordnung, wenn ein Ministerpräsident von einem befreundeten Unternehmer einen privaten Kredit annimmt. 47 Prozent finden das nicht in Ordnung. Nicht in Ordnung ist aus Sicht einer Mehrheit von 54 Prozent auch, dass ein Ministerpräsident sich von befreundeten Unternehmern zu Urlauben einladen lässt. Wulff steht in der Kritik, weil er sich als niedersächsischer Ministerpräsident einen Privatkredit von der Frau eines befreundeten Unternehmers geben ließ und Urlaube in Ferienhäusern verschiedener Geschäftsleute verbrachte.

Das Vertrauen in Wulffs politische Arbeit nimmt unterdessen ab. Aktuell sind 60 Prozent der Deutschen mit seiner Arbeit zufrieden. Dies sind sechs Punkte weniger als im März 2011. 31 Prozent sind nicht zufrieden (plus zehn Prozentpunkte). 55 Prozent finden, Wulff sei „jemand, der dem Land Orientierung geben kann“, 39 Prozent sehen das nicht so.

Mit Material von dpa/dapd/rtr