Der erste Mann im Land bedauert. Mit Spätzle-Connection oder Amigo-Affäre hat Wulff nichts zu tun. Ein Kommentar von Christoph Rybarczyk.

Hamburg. Lustreisen auf Sponsorenkosten, günstige Kredite für Prominente und zwielichtige Geschäfte auf Gegenseitigkeit – so stellt sich der deutsche Michel das Gebaren von Spitzenpolitikern vor. Wer an die Affären und Affärchen der später zurückgetretenen Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU; Baden-Württemberg), Max Streibl (CSU; Bayern) oder Gerhard Glogowski (SPD; Niedersachsen) denkt, wittert Betrug oder mindestens eine Vorteilsnahme. Doch mit Spätzle-Connection oder Amigo-Affäre hat der längst abgelöste private Kredit des heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff beileibe nichts zu tun.

Wulff bedauert und hat Fehler eingeräumt

Nach allem, was man weiß, hat Wulff dem befreundeten Unternehmerpaar Geerkens keinen wirtschaftlichen Vorteil oder besonderen Zugang zur Regierungszentrale gewährt. Sicherlich hat es ein Geschmäckle, wenn Wulff seine Familie bei einer Urlaubsreise aus der Holz- in die Businessclass befördern lässt und den Unterschied erst später begleicht. Selbstredend hätte er dem Landtag gegenüber im vergangenen Jahr nicht nur ehrlich sein müssen, sondern die ganze Wahrheit über seine finanzielle Beziehung zu den Geerkens sagen müssen. Zerknirscht hat er das nun eingeräumt. Bundespräsident Wulff bedauert, und dieses Bedauern ist aufrichtig. Auch ein Staatsoberhaupt hat im bisherigen Leben nicht alles richtig gemacht.

Niedersachsen mag das Bundesland bleiben, aus dem respektable Politiker kommen, die mit engsten Kontakten zu Unternehmern an die Grenze des Erlaubten gehen. Da gab es unter anderem einen Gerhard Schröder, der sich vom Finanzdienstleister Carsten Maschmeyer unterstützen ließ. Unter der Kanzlerschaft Schröders verabschiedete Rot-Grün später die staatlich geförderte, private Riester-Rente. Und Schröder hatte durch ein wahres Beziehungsgeflecht beste Kontakte zum Volkswagen-Konzern, bei dem er als niedersächsischer Ministerpräsident im Aufsichtsrat saß – nach Recht und Gesetz im Übrigen.

Doch in dieser Causa Wulff geht es nun wirklich um Peanuts – anders, als Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper einst große Verluste kleinreden wollte. Die ausgefallene Staatsaffäre mag die ärgern, die an Wulff schon immer herumgemäkelt haben. Ein blasser Typ sei er, ohne Kanten, lässt sich die Brötchen von seinem Lieblingsbäcker auch ins Schloss Bellevue liefern. Dabei sind die Deutschen selbst ein Volk von Pfennigfuchsern, Schnäppchenjägern, Hypotheken-Jongleuren. Das ist im Rahmen der Gesetze erlaubt. Und nun sind wir erschrocken über einen, der Gönner hat und denen auch noch vier Prozent Zinsen zahlt?

Die öffentliche Diskussion über Kredite und Co. darf weitergehen, das gehört zur politischen Kultur. Doch sie darf nicht überlagern, was Wulff bislang als Bundespräsident geleistet hat und sich anschickt noch zu tun. Als Horst Köhler im vergangenen Jahr aus Schloss Bellevue floh, folgte Wulff dem Notruf nach einer schnellen Lösung. Er ließ sich nicht beirren, als er erst im dritten Wahlgang gewählt wurde. Unions- und FDP-Abgeordnete der Bundesversammlung wollten damit Kanzlerin Merkel und dem damaligen Vize Westerwelle eins auswischen.

Wulff stürzte sich in die Islam- und die Integrationsdebatte, mahnte in Berlin die Deutschen, in Ankara die Türken. Wulff reiste nach Jerusalem, Moskau, Fernost. Wulff lud die Angehörigen der Opfer rechtsextremer Gewalt ins Schloss Bellevue und hörte einfach nur zu. Das war als Symbol schon mehr, als ein fassungsloser Staat tun kann. Für das erste Amtsjahr hat er eine respektable Bilanz.

Auch wenn jede Geschäftsbeziehung zwischen Politikern und Wirtschaft das Transparenzsiegel tragen sollte, so wünscht man sich doch keine Verhältnisse wie beispielsweise in den USA. Dort liegt praktisch alles offen, was die Finanz-Belange des ersten Mannes im Staat betrifft. Und es ist Usus, dass der Präsident sogar Übernachtungsgäste im Weißen Haus beherbergt – gegen eine große Spende.