Die Bemerkungen Thilo Sarrazins über “bestimmtes Gen“ von Juden provozieren. Nun wird der Ruf nach seiner Entlassung bei der Bundesbank lauter.

Hamburg/Berlin. Die Empörung über Thilo Sarrazin wächst. Die Äußerungen des Bundesbankvorstands und SPD-Mitglieds über Muslime und Juden sorgen immer mehr für Unmut. Führende Politiker aller Parteien reagierten entrüstet auf jüngste Äußerungen und stellten die Eignung Sarrazins für sein Amt in der Notenbank infrage.

SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner forderte die Bundesbank auf, Sarrazin zu entlassen. "Von der Bundesbank erwarte ich, dass sie mit Sarrazin so umgeht wie der Norddeutsche Rundfunk mit seiner Moderatorin Eva Herman nach ihren braun gefärbten Äußerungen: rauswerfen - und zwar sofort", sagte Stegner dem Hamburger Abendblatt. Dies sei ein vergleichbares Beispiel. "Sarrazin schadet dem Ansehen Deutschlands", fügte der Partei- und Fraktionsvorsitzende der schleswig-holsteinischen SPD hinzu.

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Der NDR hatte sich 2007 von der langjährigen "Tagesschau"-Sprecherin Eva Herman im Zusammenhang mit der Vorstellung ihres Buches "Das Prinzip Arche Noah" getrennt. Herman wurde vorgeworfen, sie habe Werte des Nationalsozialismus zu Familie, Muttersein und Kindern gelobt.

Pünktlich zu der für diesen Montag geplanten Vorstellung seines Buches "Deutschland schafft sich ab" provozierte Sarrazin ein weiteres Mal. Der frühere Berliner Finanzsenator sprach in der "Welt am Sonntag" zunächst über eine kulturelle Identität, die einer Integration von Muslimen in Deutschland entgegenstehe. Auf die Frage, ob es "auch eine genetische Identität" gibt, antwortete er: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden."

Sarrazins Äußerungen würden immer skurriler, sagte SPD-Präsidiumsmitglied Stegner. "Das ist eine gefährliche Mischung aus richtigen Beobachtungen und dumpfen Vorurteilen", urteilte er. "Seine Sprache ist menschenverachtend. Das kann man nicht ignorieren. Sarrazin sollte endlich die SPD verlassen."

Auch Kanzlerin Angela Merkel verurteilte die Äußerungen Sarrazins als "vollkommen inakzeptabel". Sie seien ausgrenzend und machten ganze Gruppen in der Gesellschaft verächtlich, sagte die CDU-Vorsitzende in der ARD. Die Bundesbank sei für das ganze Land ein Aushängeschild - "nach innen wichtig, aber auch nach außen wichtig". Daher ist sich die Kanzlerin "ganz sicher, dass man auch in der Bundesbank darüber sprechen wird".

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, äußerte ebenfalls scharfe Kritik: "Sarrazin hat endgültig eine rote Linie überschritten." Der SPD-Politiker stütze sich auf die Rassentheorien der Nationalsozialisten.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) warf Sarrazin vor, Kindern aus Ausländerfamilien generell mangelnden Bildungswillen zu unterstellen. "Herr Sarrazin leitet Wasser auf die Mühlen des Rassismus und des Antisemitismus", sagte der Außenminister dem "Bonner General-Anzeiger" .

In den vergangenen Tagen hatte sich Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch (CDU) noch hinter Sarrazin gestellt. Doch auch er distanzierte sich jetzt deutlich: "Die Äußerungen Sarrazins sind unerträglich. Damit stellt er sich völlig ins Abseits", auch wenn er vorhandene Probleme anspreche, sagte Koch.

In der SPD wird es für Sarrazin eng - auch wenn er sich selbst unbeirrt zeigt. "Ich bleibe SPD-Mitglied bis an mein Lebensende" , sagte Sarrazin im Deutschlandfunk. Wie zuvor Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles forderte am Wochenende auch der amtierende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe Sarrazin auf, die Sozialdemokraten zu verlassen.

Sarrazins Berliner SPD-Landesverband will ein Parteiausschlussverfahren prüfen, wie der Landesvorsitzende Michael Müller am Wochenende sagte. "Dauerhaft kann es eine Partei nicht mittragen, wenn ein Mitglied gegen ihre Grundsätze verstößt." Ein früheres Parteiordnungsverfahren hatte allerdings nicht zum Ausschluss Sarrazins geführt. Am 6. September will der Landesvorstand erneut über die Zukunft Sarrazins beraten.