Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, mahnt: Die Ärmsten der Armen brauchen Finanzhilfen.

Berlin. Sturmschäden in den deutschen Mittelgebirgen, Überschwemmungen an unseren Flüssen, und auf der Zugspitze wird das Eis des letzten Gletschers Deutschlands immer dünner - Deutschland steckt mittendrin im Klimawandel, auch wenn viele das im Jahr der Finanzkrise zeitweise aus den Augen verloren haben. Spätestens im Dezember beim Welt-Klimagipfel in Kopenhagen verdient die Klimakrise wieder unsere volle Aufmerksamkeit. Denn neben Rettungspaketen für insolvente Banken oder marode Autobauer braucht die Welt einen Rettungsschirm für das Klima. Dies muss durch ein ambitioniertes Folgeabkommen für das Kyoto-Protokoll geschehen, dem bislang wichtigsten internationalen Klima-Vertrag, der im Jahr 2012 ausläuft. Für die Zeit nach 2012 darf die Staatengemeinschaft nicht mit leeren Händen dastehen. Die Klimakrise nimmt keine Rücksicht, wenn wir nichts tun, sondern läuft mit mächtigen Schritten weiter auf uns zu.

Wie muss der neue Vertrag aussehen? Er muss vor allem festlegen, was für viele Tausend führende Klimaforscher schon lange Gewissheit ist: Die Temperaturen dürfen im globalen Mittel auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau steigen. Würde es mehr, könnte das für Millionen Menschen zur existenziellen Bedrohung werden. Global müssen die Klimagasemissionen dazu bis 2050 auf die Hälfte des Niveaus von 1990 sinken - auch das muss in Kopenhagen Konsens werden. Ein aus dem Ruder gelaufenes Weltklima würde die Menschheit in seinen ökologischen, aber auch ökonomischen und sozialen Konsequenzen nicht mehr einfangen können. Die Staatengemeinschaft darf sich in Kopenhagen deshalb nicht vertagen.

Mit genügend politischem Willen wird Kopenhagen ein Erfolg. Die Staats- und Regierungschefs müssen ihren Unterhändlern ein starkes Mandat mitgeben. Industrienationen wie Deutschland müssen sich als die historisch Hauptverantwortlichen für den Klimawandel, ihrer Verantwortung stellen. Bis zum Jahr 2020 müssen die Industrieländer den Ausstoß der Klimagase um mindestens 30 Prozent gegenüber 1990 senken, bis 2050 gar um 80 bis 95 Prozent. Langfristig sollten die Industrieländer den Anspruch haben, treibhausgasneutrale Wirtschaftsweisen zu etablieren.

Auch Entwicklungs- und Schwellenländer stehen in der Pflicht, ihr berechtigtes Streben nach Wohlstand in ökologische Bahnen zu lenken. Es ist durchaus realistisch, dass sie ihren Ausstoß bis 2020 zwischen 15 und 30 Prozent gegenüber dem derzeitigen Trend senken können. In vielen Fällen kann dies bereits aus eigener Kraft geschehen, insgesamt aber werden die Entwicklungsländer auf unsere Hilfe angewiesen sein. Deutschland muss hier seinen Beitrag leisten, steht aber mit seiner hochentwickelten Umwelttechnik-Industrie gut da, weil genau diese Technologien immer mehr auf der ganzen Welt gebraucht werden.

Die Welt muss nicht nur weniger Klimagase ausstoßen, sondern auch die Ökosysteme besonders schützen, die Kohlendioxid speichern und damit der globalen Erwärmung entgegenwirken. Der Schutz von Wäldern, Mooren und anderen Kohlenstoffspeichern muss verbindlich geregelt sein.

Die jährliche Entwaldung muss weltweit bis 2020 halbiert werden, und bis 2030 dürfen wir keine weiteren Waldflächen mehr verlieren.

Die Ärmsten der Armen in den Entwicklungsländern brauchen Finanzhilfen, um sich an die nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels anzupassen; für den Deichbau etwa, für bessere Bewässerungssysteme oder für umweltverträgliche Anbaumethoden in der Landwirtschaft. Weltweit ist dazu nach Schätzungen von Experten ein globaler Finanzrahmen von etwa 100 Milliarden Euro erforderlich. Deutschland sollte sich hieran beteiligen. Und zwar mit mindestens 0,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Das wären pro Jahr rund fünf Milliarden Euro mehr, für Anpassungsaktivitäten in solchen weniger entwickelten Ländern, die stark vom Klimawandel betroffen sind. Die Summe versteht sich zusätzlich zu den 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Deutschland bislang für Entwicklungshilfe zugesagt hat.

Klimaschutz kostet Geld - aber es ist gut angelegt. Lord Nicholas Stern, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, formulierte es in seinem Klimabericht so: Die Welt ist reich genug, um den Klimaschutz zu finanzieren, aber zu arm, um den Klimawandel einfach hinnehmen zu können. Vor Kopenhagen ist diese Erkenntnis wichtiger denn je!