Die Straßen voller, die Portemonnaies leerer, die Regulierungen strenger: Wo ist da noch Platz für Emotionen beim Neuwagenkauf? Die einzige Chance der Industrie wäre, endlich auf die Ökowelle zu reagieren.

Hamburg. Einer steht noch. Einer gibt nicht klein bei. "Wir halten an unserem Ziel fest, in diesem Jahr mehr Autos zu verkaufen als im Vorjahr", so steht es trotzig in der Mitteilung des Volkswagen-Konzerns von gestern. Weltweit ist der Markt für Pkw im Oktober eingebrochen, aber Europas größtem Automobilhersteller in Wolfsburg geht es immer noch besser als den meisten seiner Konkurrenten. Das ist die Botschaft, aus Sicht von Volkswagen eine echte Erfolgsmeldung. Was für ein Kontrast: Zur selben Stunde sitzt die Führung des Konkurrenten Opel im Bundeskanzleramt und bittet um staatliche Bürgschaften, um den drohenden Kollaps des Unternehmens abzuwenden. Welch eine Erniedrigung.

VW und Opel, das war mal ein Wettkampf auf Augenhöhe. Doch das ist so lange her wie die erste Mondlandung. VW brachte mit seinem Evergreen, dem Käfer, das deutsche Wirtschaftswunder ins Rollen, und Opel verkörperte den Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg: mit kantigen Limousinen - vom Rekord bis zum Admiral. Für Einsteiger gab's den Kadett, und selbst der war für seine Fans schon ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem Käfer. Er hatte Frontantrieb und einen Kofferraum, in den tatsächlich etwas hineinpasste.

In Deutschlands goldenen Autojahren trugen die Jungs auf der Straße kurze Lederhosen und hatten einen Colalutscher im Mund, wenn sie bewundernd über die Heckflosse eines Mercedes strichen, über die Kurven eines Ford Taunus 17 M oder die Zierleiste eines NSU Prinz. Bleibt man heutzutage vor einem Auto stehen, dann im Zweifel deshalb, weil man auf dem Fußgängerüberweg gerade von tiefer gelegten 150 PS geplättet zu werden droht. Deutschland und das Automobil, das ist bis heute eine symbiotische Beziehung, aber längst keine Lovestory mehr. Ein Opel Manta, ein Ford Capri oder ein VW Golf GTI waren Statussymbole nicht nur für junge Wilde, sondern auch für eine dynamische Wirtschaft. Wer BMW, Mercedes oder gar Porsche fuhr, der hatte es nach Lesart der 70er-Jahre ohnehin geschafft. Heute ist der Drang nach Beschleunigung im Leben ganz allgemein nicht mehr so ausgeprägt. Und ein Porsche oder ein Audi A 8 sind, zum Beispiel bei einem Investmentbanker, mittlerweile so fix gepfändet wie bei normalen Leuten das rostige Fahrrad.

Noch nie hat die deutsche Automobilindustrie so viele Autos verkauft wie im vergangenen Jahr. Aber in den Schlagzeilen steht die Krise, und das schon viel länger: Daimler und Chrysler sind gescheitert mit der "Welt AG" des Jürgen Schrempp, BMW gescheitert bei Rover in England; harte Sanierung und Führungsquerelen mal bei Volkswagen, mal bei Opel und mittlerweile sogar bei Mercedes und BMW, den "Premiummarken", den Sahnhäubchen der Branche.

Deutschland baut die besten Automobile der Welt, aber freie und fröhliche Fahrt für freie Bürger gibt es längst nicht mehr. In der sommerlichen Ferienhitze stauen sich die Kolonnen auf 100 Kilometern vor Baustellen oder umgekippten ukrainischen Viehtransportern, im Fernsehen wirbt Renate Künast für Fahrrad und Vorortzug, in Brüssel basteln blutleere Bürokraten an der nächsten Verschärfung der Abgas-Grenzwerte. Und Tanken erschien vielen Autofahrern bis vor Kurzem noch so teuer wie ein Gang in die Parfümerie. Auch in der Industrie ist die Leichtigkeit dahin. Den Automobilwerkern in Deutschland droht neue Konkurrenz nicht mehr nur von der nächsten Generation der Roboter, sondern zunehmend auch von fleißigen Händen aus China und Indien. Der erste "Landwind"-Geländewagen aus chinesischer Fertigung kam nach Deutschland unter großem Gelächter noch wie ein laues Lüftchen, doch der Luftdruck wird steigen im Geburtsland des Automobils, so viel ist sicher. Und noch bevor sich die deutschen Hersteller die Märkte der Zukunft in Asien oder Afrika sichern, sind vielleicht schon die Inder da, mit ganz neuen Automobil-Ideen - und vor allem mit Modellen, die man auch in Bangladesch bezahlen kann.

Groß war die Häme in den vergangenen Jahren auch beim Blick über den Atlantik. Da mühten sich die amerikanischen Automobilriesen, ihre als Pkw getarnten Lastwagen in den Markt zu drücken, monströse Geländewagen mit Ladefläche für die Einkaufsfahrt zu Wal Mart. Mit horrenden Rabatten und Null-Prozent-Krediten verhökerten sie ihre Spritfresser und Ökosaurier, die technologisch nach Meinung vieler europäischer Ingenieure auf dem Stand des Ersten Weltkriegs sind. Die Deutschen reichten derweil ihre eleganten Hightech-Fahrzeuge auf den amerikanischen Markt, vom Klassiker VW "Golf" über den 7er BMW und die Mercedes "S-Klasse" bis zum viel gefragten Porsche "Cayenne". "Made in Germany" war stets angesagt. Deutsche Autos machen schließlich auf jedem Parkplatz der Welt eine gute Figur, sei es bei Wal Mart oder vor der Villa in Hollywood. Vor allem aber gab es bis zum vergangenen Jahr noch immer genügend zahlungskräftige US-Bürger, die den Aufpreis für deutsche Premiumtechnologie gern zahlten und zahlen konnten. Nun ist die Party vorbei; nirgendwo brach während der Finanzmarktkrise der Automobilabsatz so radikal zusammen wie in den Vereinigten Staaten, dem größten und wichtigsten Automarkt der Welt. Das kann die Branche nirgendwo wettmachen, in keinem anderen Land.

Auch in Deutschland nicht. Längst ist der heimische Markt gesättigt. Mehr als 41 Millionen Pkw registriert das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg derzeit, statistisch gesehen also etwa ein Auto für je zwei Bundesbürger. In China müssten sich 80 Menschen einen Wagen teilen. Die Autoindustrie hat zwei Probleme: Die meisten erwachsenen und führerscheinfähigen Menschen in Deutschland besitzen rein rechnerisch bereits ein Auto. Und immer seltener kaufen sie sich ein Neues. Nach der deutschen Einheit betrug der Altersdurchschnitt der Pkw im Durchschnitt 6,3 Jahre. Heute sind es 8,5 Jahre. Der Verband der Automobilindustrie spricht von einem ärgerlichen "Investitionsstau" in den deutschen Privathaushalten. 3,1 Millionen Neuwagen will die Branche in diesem Jahr in Deutschland verkaufen, weniger als im vergangenen Jahr, und auch das ist noch sehr optimistisch kalkuliert.

Leider führt auch für die Automobilwirtschaft kein Weg und keine Umleitung an der Erkenntnis vorbei, dass die Reallöhne der meisten deutschen Haushalte in den vergangenen zehn Jahren nicht gestiegen, bei vielen sogar gesunken sind. Beim Normalverbraucher stellt sich also die Frage, ob er halbwegs entspannt seinen Heizöltank wieder auffüllt, seinem Kind einen Krippenplatz mitfinanziert und zur Fußballmeisterschaft einen neuen Flachbildschirm anschafft - oder ein neues Auto mit dreimal quergezwirbelter Hinterachse, feuerverzinktem Aschenbecher und Airbag im Rückspiegel. Insofern leidet die deutsche Autoindustrie auch unter ihrem eigenen Erfolg: Noch bis in die 80er-Jahre hinein waren Neuwagen nach wenigen Jahren recht zuverlässig verrostet. Ein rostiges Fahrzeug deutscher Bauart findet man heute nur noch selten - es sei denn, es stammt noch aus den 80er-Jahren und hat noch die letzten Würfe von winterlichem Streusalz erlebt, bevor die Straßenmeistereien auf Feinsplit umstellten. : Die allgemeine Ökowelle könnte dem Automobilmarkt neuen Auftrieb verschaffen, doch ausgerechnet in Deutschland, dem grünen Riesen der Industriewelt, tut sich bislang wenig. Zwar ist der "Smart" von Daimler, nach verlustreichen Jahren, mittlerweile ein echtes Erfolgsmodell. Das liegt aber vermutlich weniger an den allgemeinen Erwägungen des deutschen Autofahrers zum Klimaschutz - sondern vor allem daran, dass die Pizzaboten abends vor dem Haus keinen Parkplatz finden.

Eine Renaissance der goldenen Automobilära ist nicht in Sicht. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der so viele deutsche Fahrer auf den vorderen Rängen der Formel 1 zu finden sind wie nie zuvor: Vettel, Rosberg, Heidfeld, Glock. Automobil betrachtet droht nun die Epoche der Aufklärung, und das könnte bedeuten: Elektroautos für jedermann, totale Aerodynamik, 100 Kilometer Reichweite, Aufladen nach Feierabend. Nie wieder Heckflosse, nie wieder Spoiler und röhrende Auspuffanlagen nur noch durch die Lautsprecherboxen.

Es war schön, einen alten 1300er Käfer zu fahren, einen Kadett B Kombi oder einen original 500er Fiat. Sie waren alle verrostet damals, aber sie hatten Stil. Und den vergisst man nicht.