Hessen machte den Anfang: Weil Ministerpräsident Holger Börner nicht mit seinem Wunschpartner FDP koalieren konnte, sprang Joschka Fischer ein.

Hamburg. Der eine kam von rechts mit der Dachlatte, der andere von links mit weißen Turnschuhen, halbhoch. Holger Börner und Joschka Fischer rauften sich am 12. Dezember 1985 zusammen, um die erste rot-grüne Koalition in der Bundesrepublik zu bilden. Als Fischer den Amtseid als Umweltminister in Hessen ablegte, waren seine Grünen in der Regierungsverantwortung und damit im Parteien-Establishment angekommen, das ihnen verhasst war, als sie noch als alternative Listen oder bloße Bewegungen die politische Landschaft einfärbten.

Heute mögen Koalitionsgespräche wie in Hamburg, ja selbst im Bund als rationale Personalverhandlungen und kühle Hinterzimmer-Diplomatie aufgefasst werden. Der Bindestrich zwischen Roten und Grünen damals war ein mühsam geknüpftes Band zwischen Börner und Fischer.

Börner hatte Polier gelernt. Aus dem beschaulichen Kassel hatte er sich die Karrierestufen bis zum geachteten Ministerpräsidenten emporgeackert. Über die Grünen sagte er einst: Früher auf dem Bau, da hätten sie unflätige Kollegen mit der Dachlatte verprügelt. Und Fischer war als Mitglied der Frankfurter Alternativszene mit dem Straßenkampf bestens vertraut.

Börner sah in den Grünen einen politischen Arm der wenigen, die aus dem Studentenprotest der Achtundsechziger nahtlos in die Terrorszene abgetaucht sind. Man darf ihm das nicht nachtragen. Sein Kabinettskollege Heinz Herbert Karry wurde 1981 ermordet. 1982 hatte Börner nach den Wahlen keine Mehrheit, blieb aber ein Jahr geschäftsführend Ministerpräsident. Die Grünen kamen ihm entgegen. Erst billigten sie seinen Haushalt, schlossen dann ein Tolerierungsabkommen und später den Koalitionsvertrag.

"Staatsakt für einen Rebellen" schrieb die "Süddeutsche Zeitung" über Fischers Vereidigung, "Angst um Hessen" die "Bild". Bundeskanzler Helmut Kohl sprach von "Unverfrorenheit". Seine Nachnachfolgerin Angela Merkel könnte im kommenden Jahr über eine Koalition mit den Grünen nachdenken müssen.

Die Grünen hatten sich 1980 zur Bundespartei gefunden. Ihr Fundament: Umweltschutz, Bürgerrechte, Basisdemokratie. In den Grabenkämpfen zwischen Ideologen ("Fundis") und Realpolitikern ging unter, dass die Grünen ihre Wähler vor allem aus den Metropolen und Uni-Städten rekrutierten und dass diese besser gebildet als der Durchschnitts-Michel waren, mehr verdienten und über den politischen Horizont hinausblickten.

Nach dem Diskutieren reizte sie das Gestalten. Hessen folgten weitere Bundesländer mit Grünen-Regierungsbeteiligung. Schließlich zimmerten Gerhard Schröder und Joschka Fischer 1998 Rot-Grün im Bund.

Der frühere hessische Landtagsabgeordnete Frank Schwalba-Hoth schrieb im Jubiläumsband zu 20 Jahren Grüne im Landtag: Erst hätten sie es nicht wahrhaben wollen, dass auch für sie die Steigerungsform gelte "Gegner, Feind, Parteifreund". Schließlich habe man einen Gießener Psychologen hinzuziehen müssen. So sehr hatten sich die Grünen intern gefetzt. Ein professioneller Umgang mit Störungen. Und ein weiterer Ausweis für die Ankunft unter den Regierungsparteien.

Ob Ökologie oder Frauenförderung: Die SPD hatte die Grünen umarmt. Zwischen beiden Parteien entwickelten sich außerdem personelle Wechselspiele. Prominentester Wechsler war der spätere Innenminister und Law-and-order-Vertreter Otto Schily, der 1989 Sozialdemokrat wurde.

Die meisten Wechselwähler, so belegen die Wahlanalysen, votierten jedoch mal rot, mal grün. Zwischen Union und Grünen gab es kaum Wanderungen. Das mag sich inzwischen geändert haben. Mit dem Bundestagswahlkampf 2005 und dem Erfolg Angela Merkels, die sich "Klimakanzlerin" nennen lässt, scheinen die Lager aufzuweichen. Die Top-Grünen wie Fischer, Renate Künast oder in Hamburg Krista Sager haben ihre Regierungsfähigkeit längst demonstriert.

Aber bereits 2001 schrieb der Politologe und Grünen-Kenner Joachim Raschke: "Wehe den Grünen, wenn Wähler und SPD sie aus der Regierung schicken! Alles wäre danach umstritten: die Richtung, die Koalition, die Politik und das Personal." Das war beinahe visionär. Denn Bundesland um Bundesland verlor seine rot-grüne Koalition. Zuletzt Nordrhein-Westfalen, Stammland der SPD, wo man sich mit den etwas fundamentalistischer orientierten Grünen schwergetan hatte. Mit der Großen Koalition in Berlin und dem Aufkommen der Linken hat sich jetzt die Arithmetik im Vierparteienland verschoben. Die Grünen sind nicht mehr die Neuen, die mit den anderen Politikentwürfen. Doch ihr Wählerpotenzial wird zur Regierungsbildung benötigt.