Ein Fundraiser kassierte in einem Fall 30 000 Euro Provision. Wie weit Spendenwerbung gehen darf, wer alles mitkassiert und wie man die Vertrauenswürdigkeit einer Organisation feststellt: Interview mit Christoph Müllerleile, Mitbegründer des Deutschen Spendenrates.

ABENDBLATT: Wie beurteilen Sie den Umgang mit Spendengeldern bei Unicef?

CHRISTOPH MÜLLERLEILE: Die Spendenwerbung von Unicef steht nicht zur Diskussion, wohl aber die mangelnde Transparenz, also was mit dem Geld gemacht wird und welche Abzüge erfolgen, bis es das Ziel, die Not leidenden Kinder, erreicht hat.

ABENDBLATT: Taucht das Problem jetzt erst auf, oder ist es in Insiderkreisen längst bekannt?

MÜLLERLEILE: Das beobachtet man seit Jahren bei vielen Organisationen, die eigentlich nur Fördervereine sind, keine eigenen Projekte haben, sondern weltweiten Institutionen zuarbeiten. Das gilt gerade auch für die Fördervereine der Vereinten Nationen wie Unicef. Hier gibt es eine lange Verwertungskette: Unicef Köln überweist das Geld an den Hauptsitz nach New York und der zum Teil weiter an fremde ausführende Organisationen. Von dort geht es dann in die Welt. An jeder Stelle sitzen Verwaltungs- und Kontrollinstanzen.

ABENDBLATT: Das heißt, es gibt ein generelles Strukturproblem?

MÜLLERLEILE: Die Kontrolle über die Effizienz der Spende ist geringer als bei Organisationen mit kürzeren Wegen und ohne Vermischung von staatlichen Geldern und freiwilligen Spenden. Bei den Uno-Hilfswerken fließt alles in einen großen Topf. Wenn dort Staatsgeld mitenthalten ist, wird meist großzügiger mit dem Geld umgegangen. Die Spender wollen jedoch, dass ihr Geld unmittelbar und möglichst ohne Abzüge bei den Bedürftigen landet. Das passiert eher, wenn ein Pastor in einer Pfarrgemeinde sammelt und das Geld an einen Pastor in Tansania gibt. Und dann selbst nachschaut, ob das Geld richtig verwendet wird.

ABENDBLATT: Es heißt, Unicef habe 750 Euro, sogar 850 Euro pro Tag an einen ehemals angestellten Fundraiser für Beratertätigkeiten gezahlt . . .

MÜLLERLEILE: Ja. Er sollte in den Ruhestand gehen, wurde aber vorübergehend engagiert, um Umbaumaßnahmen sowie den Umzug von Unicef in neue Räume inklusive deren Renovierung zu koordinieren. Das eigentliche Kurzzeit-Engagement hat sich dann auf mehr als ein Jahr ausgeweitet. Zuerst wurden ihm 850 Euro bezahlt, dann wurde das Tageshonorar auf 700 Euro runtergesetzt, wohl auf Intervention von Leuten, denen das zu teuer wurde.

ABENDBLATT: Es gibt noch einen zweiten Fall . . .

MÜLLERLEILE: Ein anderer langjähriger Fundraiser wurde entlassen, bekam aber noch Aufträge von Unicef für die Spendenwerbung in Heilbronn. Er erhielt eine degressive Provision von zunächst zwölf bis letztlich vier Prozent und hat dafür viele Stunden Arbeit investiert. Nur die Heilbronner Bürger wussten nichts davon. Ansonsten wäre die Spendenbereitschaft dort sehr viel geringer gewesen.

ABENDBLATT: Zudem hat der Werber einen stattlichen Betrag von einer Lidl-Spende abgeschöpft.

Müllerleile: Lidl hat 500 000 Euro an Unicef gespendet. Unicef wollte damit die etwas zu niedrigen Einnahmen aus der Städtepartnerschaft mit Heilbronn aufbessern. Durch die Provisionsvereinbarung kam der Fundraiser in den Genuss einer 30 000-Euro-Zahlung für eine Spende, die er gar nicht selbst gesammelt hatte - ohne Kenntnis des Spenders. Insgesamt hat der Spendenwerber nach Berichten der "Frankfurter Rundschau" Provisionen im Wert von 191 000 Euro erhalten. Das ist im nicht gemeinnützigen Bereich nichts Ungewöhnliches. Die Leute haben alle so gehandelt, als ob Unicef ein normales Unternehmen wäre. Wenn da jemand Aufträge heranschafft, dann bekommt er hohe Provisionen.

ABENDBLATT: Ist Spenden werben auf Provisionsbasis generell verwerflich?

MÜLLERLEILE: Man kann ein Erfolgshonorar festlegen, aber man muss es nach oben hin begrenzen. Der Spender muss eigentlich wissen, dass ein solcher Erfolgsanteil gezahlt wird. Der Deckel sollte eine absolute Summe und kein maximaler Prozentsatz sein. Auf keinen Fall sollten die Provisionen linear mit den Spendeneinnahmen steigen, weil es auch viele sehr hohe Spenden gibt, etwa Erbschaften. Da kämen Sie sonst auf enorme Provisionen, für die kein Mensch Verständnis hat.

ABENDBLATT: Was halten Sie von Haustür-Werbung?

MÜLLERLEILE: Diese Werbeform setzt ein besonderes Verantwortungsbewusstsein voraus, denn Sie bauen an der Haustür mit den Leuten ein Vertrauensverhältnis auf. Das darf man nicht ausnutzen, um die Menschen privat auszunehmen. Oder um die Spendenbereitschaft auf eine Organisation zu lenken, die besonders viel Provision zahlt, wenn man für verschiedene Organisationen tätig ist.

ABENDBLATT: Sind Menschen, die auf der Straße um Mitgliedschaften bitten, immer professionelle Werber?

MÜLLERLEILE: Fast immer sind das Profis. Wer dagegen mit einer Sammelliste herumläuft, ist meist ehrenamtlich unterwegs.

ABENDBLATT: Kann man eigentlich von einer Organisation telefonisch um Spenden gebeten werden, mit der man zuvor keinen Kontakt hatte?

MÜLLERLEILE: Nein. Auch nicht unter dem Vorwand, der Anrufer mache eine Umfrage. Privatleute sind grundsätzlich von solchen Anrufen zu verschonen, wenn sie nicht zugestimmt haben. Wenn man irgendwo ein Kärtchen ausgefüllt oder im Internet ein Häkchen gemacht hat, wo klein geschrieben stand, "Sie dürfen mich anrufen", dann ist Telefonwerbung natürlich erlaubt.

ABENDBLATT: Was halten Sie von Fernsehshows?

MÜLLERLEILE: Sie sind im Allgemeinen seriös, durch und durch geprüft. Als Kriterium könnte gelten, wenn nach Abzug der Produktionskosten für die Show mehr als die Hälfte der eingegangenen Spenden tatsächlich dem Zweck zugutekommt. Bei Sendern, die öffentlich sagen, wir übernehmen die Produktionskosten und reichen die Spenden eins zu eins weiter, würde ich am ehesten anrufen. Wenn diese Aussage nicht kommt, dann weiß ich, da wird abgezogen.

ABENDBLATT: Gibt es positive Beispiele?

MÜLLERLEILE: Bei der größten und erfolgreichsten Show, "Ein Herz für Kinder", wird der weitaus größte Anteil der Produktionskosten vom Springer-Verlag übernommen.

ABENDBLATT: Welche Organisationen würden Sie denn empfehlen?

MÜLLERLEILE: Die Organisationen, die bei PricewaterhouseCoopers den Transparenzpreis erzielen. Ärzte ohne Grenzen, die Deutsche Welthungerhilfe und die Kindernothilfe Duisburg schneiden regelmäßig mit Spitzenpositionen ab. Oder aber kleine Organisationen, die man persönlich kennt und leicht kontrollieren kann. Vertrauenswürdig sind auch Organisationen, die das DZI-Spendensiegel haben oder Mitglied im Deutschen Spendenrat sind.