Berlin. Es ist die Vorstellung, dauerhaft hilflos ans Bett gefesselt zu sein und vielleicht nicht mehr mitteilen zu können, ob man noch weiter medizinisch behandelt werden möchte oder nicht, die immer mehr Deutsche dazu veranlasst, eine Patientenverfügung zu verfassen. Sie wollen damit im Voraus bestimmen, wie sie im Krankheitsfall behandelt werden wollen - und die Entscheidung nicht anderen überlassen.

In der Praxis herrscht große Rechtsunsicherheit darüber, wie diese Patientenverfügungen umgesetzt werden sollen. Und so werden immer wieder Menschen weiterbehandelt, die dies zuvor für sich ausdrücklich ausgeschlossen hatten. Ärzte hingegen stehen vor dem Dilemma, ob sie der lebenserhaltenden Fürsorge oder die Selbstbestimmung des Patienten höher bewerten. 2003 hat der Bundesgerichtshof eine gesetzliche Regelung angemahnt, die den Patientenwillen stärkt. In der Begründung hieß es sinngemäß: Es gibt ein Lebensrecht, aber keine Lebenspflicht.

Das Thema Patientenverfügung ist ein ernstes und zudem höchst persönliches, und so war es nur konsequent, dass die Abgeordneten gestern über drei Stunden in einer offenen Debatte diskutieren konnten. "Die Menschen haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit", sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Stünker. Er will in Zusammenarbeit mit Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nach Ostern einen Gesetzesantrag vorlegen, der das Selbstbestimmungsrecht des Patienten stärkt - unabhängig von der Art der Krankheit oder deren Stadium. "Der Staat hat zu achten, was das Individuum entscheidet", forderte er.

Ein Gruppenantrag, den der Unionsvizefraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU) in Kooperation mit Abgeordneten der SPD, der FDP und der Grünen formuliert hatte, will die Gültigkeit der Patientenverfügungen beschränken. Sie sollen nur dann gelten, wenn eine Krankheit einen unumkehrbaren tödlichen Verlauf nimmt oder wenn ein nicht wieder umzukehrender Bewusstseinsverlust eingetreten ist. Bosbach verteidigte diese sogenannte Reichweitenbegrenzung und warnte vor erheblichen Risiken, sollte man die Wirksamkeit nicht beschränken. "Die Patientenverfügung ist eine vorweggenommene Entscheidung", betonte er, "sie beruht nicht auf eigener, persönlicher Erfahrung." Bei Menschen, die sich im Fall schwerer Krankheit noch artikulieren könnten, würde man immer wieder die Erfahrung machen, dass sie von ihrer Patientenverfügung abwichen, sagte Bosbach.

Den Zuhörern auf den gut gefüllten Besuchertribünen wurde eine höchst nachdenkliche Debatte geboten. "Es geht hier nicht um Sterbehilfe", sagte der FDP-Politiker Michael Kauch. "Es geht darum, der Natur den Lauf zu lassen, wenn der Patient es wünscht." Die moderne Medizin könne sowohl ein Geschenk wie auch eine Qual sein, sagte er. Das dürfe nicht der Bundestag entscheiden. "Zwangsbehandlung ist Körperverletzung!" Der CDU-Abgeordnete Thomas Rachel, einer der Mitunterstützer des Bosbach-Antrags, zitierte gar aus dem Buch Kohelet: "Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit." Gut ein halbes Dutzend der 31 Redner forderte, von einer gesetzlichen Regelung ganz abzusehen. Alle forderten einen Ausbau von Hospiz- und Palliativmedizin.

Die Debatte über Patientenverfügungen wird fortgesetzt. Wenn es zur Abstimmung kommt, soll der Fraktionszwang aufgehoben werden - damit die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind.