Auf immer mehr Internetseiten wird die Magersucht als ideales Lebensmuster propagiert. Ein gefährlicher Trend.

Hamburg. Ana nimmt im Leben von Millionen junger Mädchen eine zentrale Rolle ein. Ana ist stets gegenwärtig, schreibt Briefe und gibt Lebensregeln aus. Ana scheint die ideale Freundin zu sein. Doch in Wirklichkeit ist Ana heimtückisch, sie bringt Qualen und oft genug den Tod.

Ana ist die beschönigende Abkürzung von Anorexia nervosa, der Magersucht, einer psychosomatischen Erkrankung, bei der die Betroffenen wie besessen immer weiter hungern, bis sie eher Opfern von Konzentrationslagern ähneln als jenen perfekten Schönheiten, die sie darstellen wollen. Mit Absicht verwenden die Befürworter jenes krankhaften Hungerns den Namen Ana, um diesen Irrsinn zu personalisieren und ihm einen mädchenhaften Namen zu geben. Aus demselben Grund trägt die andere Essstörung Bulimia nervosa, die mit wechselnden Fress- und Brechattacken einhergeht, den Tarnnamen Mia.

Ana ist eine potenziell tödliche Gefahr für junge Mädchen, die sich den skeletthaften Look mancher Supermodels als Vorbild gewählt haben. Und so unglaublich es klingt, weltweit gibt es mehr als 500 Internetseiten, die Anorexia als ideales Lebensmuster propagieren und anfälligen Mädchen Verhaltensregeln verordnen. Sie werden von Medizinern und Politikern als brandgefährlich eingestuft.

Seiten wie "Salvation through Starvation" (Erlösung durch Verhungern) oder "Feast of Famine" (Fest des Hungers) liefern Anleitungen zum Dünnwerden und zu einem geradezu konspirativen Lebensstil, bei denen die Mädchen angehalten werden, zum Beispiel dreckige Teller in ihren Zimmern zu platzieren oder in der Küche herumzurumoren, um den Eltern vorzutäuschen, sie hätten etwas gegessen. Geraten wird auch, niemals mit den Eltern über "Ana" zu reden.

Als erste haben nun die Gesundheitsbehörden in Madrid dem Ana-Wahnsinn den Kampf angesagt. Spanien hatte bereits vor vier Monaten die Diskussion um "Kleidergröße 0" entfacht und ultradünne Models mit einem Body-Mass-Index (BMI) unter 18 von spanischen Laufstegen verbannt. (BMI bedeutet: Körpergewicht geteilt durch Körpergröße im Quadrat).

Pluspunkte für diejenigen, die 24 Stunden nichts essen Wie die Londoner "Times" berichtete, sperrten die spanischen Behörden derartige Websites und klagten gegen die Seite "The Great Ana Competition" (Der große Ana-Wettbewerb), bei dem Diplome als Preise für jene Mädchen ausgelobt wurden, die innerhalb von zwei Wochen die wenigsten Kalorien zu sich nehmen. Ein Punktesystem belohnt Mädchen, die 50 bis maxmal 150 Kalorien pro Tag zu sich nehmen, mit neun Punkten. Die Höchstzahl von zehn Punkten erhält, wer 24 Stunden lang gar nichts Festes zu sich nimmt.

Steve Bloomfield von der britischen Gesellschaft gegen Essstörungen berichtet, dass etwa jedes fünfte Ana-Opfer ohne rechtzeitige Behandlung stirbt. In der betriebsamen brasilianischen Modebranche starben innerhalb von zwei Monaten fünf Anorexia-Opfer. So erlag in Rio de Janeiro die erst 14-jährige Maiara Galvao Vieira ihrem Hungerwahn, als sie nur noch 38 Kilogramm bei über 1,70 Meter Größe wog. Die Modewoche in São Paulo kündigte eine Internet-Kampagne gegen Anorexia an und will die Models der "Fashion Week" künftig medizinisch überwachen lassen. Italiens Jugendministerin Giovanna Melandri forderte von Designern, Modelagenturen und Modehäusern das Bekenntnis zu einem Ethik-Code. Mädchen unter 16 Jahren und einem BMI unter 18,5 sollten gar nicht mehr teilnehmen.

18-Jährige wog 28 Kilo und fühlte sich trotzdem "fett" Die "Times" dokumentierte den Fall der 18-jährigen Britin Jay Taylor aus Newcastle upon Tyne, die auf dem Tiefpunkt ihrer Krankheit nur noch 28 Kilogramm wog. Da die Familie eine vererbte Herzschwäche aufweist, befürchteten die Ärzte das Schlimmste. Siebenmal wurde Jay ins Krankenhaus eingeliefert und künstlich ernährt. Doch noch immer sagt Jay: "Ich sehe andere anorexische Mädchen und denke, die sehen aber krank aus. Zugleich denke ich aber, dass ich selber noch viel zu fett bin. Ich sehe mir Fotos an, auf denen ich mal mehr wog, und hasse sie."

Vermutlich haben alle diese Mädchen "Anas Gesetze" auf den "Pro-Ana"-Seiten im Internet befolgt. Da heißt es zum Beispiel: "Das Essen darf nicht genossen werden, sondern muss gehasst werden". Oder: "Stell dir vor jedem Essen die Frage: Will ich das jetzt wirklich essen?" Ana-Anhänger hassen ihren Körper, empfinden sich nur klapperdürr als einigermaßen attraktiv. "Dünn sein ist wichtiger als gesund sein", lautet eine weitere lebensgefährliche Regel der Bewegung. Die Selbstwahrnehmung der Opfer ist zunehmend gestört, sie glauben niemandem, der ihnen sagt, sie seien zu dünn.

Blutdruckstörungen, trockene Haut, Impotenz als Folgen Am Ende sackt der Blutdruck ab, die Haut trocknet aus, die Körpertemperatur sinkt. Bei Frauen setzt die Regel aus, Männer werden impotent. Viele Ana-Seiten raten, mit dem Rauchen anzufangen, um das Hungergefühl zu betäuben, wie Trümmerfrauen dies notgedrungen 1945 taten. Eine wichtige Rolle spielen die "Thinspirations". Das Kunstwort setzt sich aus thin (dünn) und Inspiration zusammen. Fotos der dürren Victoria Beckham, des Models Kate Moss oder der beängstigend knochigen Aktricen Keira Knightley oder Calista Flockhart können solche "Thinspirations" sein, an denen sich Mädchen orientieren. Für Victoria Beckham sagte der britische Mediziner Dr. Marcus Kyriasis voraus, dass sie kaum älter als 54 werden wird.

Daneben gibt es "negative Thinspirations", bei denen abschreckende Fotos von extrem fettleibigen Menschen gezeigt werden - als "Inspiration" zum weiteren Abnehmen.

Wer nun glaubt, das Ganze sei ein Minderheitenproblem unter gestörten Jugendlichen, irrt gewaltig. Allein in Deutschland weisen mittlerweile mehr als fünf Millionen Menschen eine Essstörung auf.