Hamburg. Wer ist die Schönste, wer am besten gekleidet, wer hat den attraktivsten Mann? Im Leben der vier Hamburger Schwestern Catharina, Julia, Anne und Marie Christen (Namen geändert) drehte sich alles um Äußerlichkeiten. Die jungen Frauen standen permanent in Konkurrenz zueinander. "Da war keine Verbundenheit und Toleranz der anderen gegenüber, keine geschwisterliche , bedingungslose Liebe, es herrschte ein Kampf", sagt Anne Christen (59) heute. Ein Kampf, der unter anderem alle vier in schwere Essstörungen stürzte, die sie nicht endgültig überwunden haben.

Nie über Probleme gesprochen

Julia und Marie kämpfen bis heute gegen ihre Bulimie. 15 Jahre lang erbrach Marie bis zu zehnmal am Tag ihr zuvor hektisch eingenommenes Essen. Catharina lebte in einer Welt der Extreme. Fraß sich auf ein Gewicht von knapp 100 Kilo hoch und hungerte sich dann in einem Anfall von Magersucht wieder herunter. Anne kämpfte gegen eine Esssucht. "Wir haben nie über unsere Probleme und Krankheiten gesprochen", sagt sie. Erst Stück für Stück habe ich herausgefunden, worunter meine Schwestern leiden."

Vom Vater oft geschlagen

Eine Erklärung für die Krankheiten fand Anne Christen in ihrer Kindheit. "Unsere Mutter war Opernsängerin. Ihr ganzes Leben drehte sich nur um Äußerlichkeiten. Ständig wurde das Aussehen anderer kommentiert." Und dann der bedrohliche Vater, "der uns Mädchen oft schlug", so Christen. "Wie sollten wir in dieser Angst und Unsicherheit Selbstbewusstsein entwickeln, ein gesundes Verhältnis zu unserem Körper bekommen?" Aus dieser Situation heraus habe sich der Kampf unter den Schwestern entwickelt. "Jede wollte den Ansprüchen unserer Eltern entsprechen, die Beste sein. Gelobt und nicht bestraft werden."

Anne Christen meint, den Kampf gegen die Krankheit gewonnen zu haben. "Doch das ging nur mithilfe drastischer Maßnahmen." So habe sie den Kontakt zu ihrer Familie schon vor über 20 Jahren abgebrochen. "Immer wenn wir Schwestern aufeinandertrafen, ging der Kampf wieder los." Die Treffen und die damit verbundenen Kritiken hätten wehgetan, sie in alte Rollen zurückversetzt und an frühere Hilflosigkeit und Schmerz erinnert.

Heute hilft ihr die Arbeit in der eigens gegründeten Selbsthilfegruppe. Wie früher Therapien und das Lesen von Fachbüchern. "Die Gespräche mit anderen Betroffenen tun mir gut", so Christen. "Wir kämpfen mit dem gleichen Problem, jeder kann sich im Austausch selber helfen." Am schönsten sei es, bei den anderen Fortschritte zu bemerken.

Auch wenn sie heute versucht, ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben, konnte sie nicht verhindern, dass auch die eigene Tochter an einer Essstörung leidet. "Es war nicht zu vermeiden, dass sie meine Unsicherheit spürte. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper."