Polizei sucht jetzt im Umfeld des 18-Jährigen nach Motiven für seine Gewalttat. Der kam aus einer ganz “normalen Familie“ und hatte einen Bruder und eine Schwester.

EMSDETTEN. In der Nacht nach dem Amoklauf haben Julia Herder und ihre beide Freundinnen sehr schlecht geschlafen. "Ich habe geträumt, dass er mich erschossen hat", sagt die 13-jährige Schülerin der Geschwister-Scholl-Schule in Emsdetten. "Ich bin bestimmt zehnmal wach geworden." Julia kommt gerade aus Stroetmanns Fabrik, dem Kulturzentrum der 35 000 Einwohner zählenden Stadt im Münsterland. Dort wurde sie zusammen mit vielen anderen der 700 Schüler der Geschwister-Scholl-Schule sowie Eltern und Geschwistern von einem Notfallseelsorgerteam von Diakonie, Caritas und dem Kreis Steinfurt betreut - insgesamt 62 Helfer waren im Einsatz.

Offenbar mit Erfolg: "Es geht uns jetzt viel besser", erzählen die drei Mädchen übereinstimmend. "Die Psychologen haben uns erzählt, was wir tun können, damit wir nicht mehr solche Angst haben." Die Kinder und Jugendlichen teilen sich in Gruppen auf, reden über das fürchterliche Geschehen, malen Bilder und halten ihre Gedanken und Gefühle in einem Buch fest. Gut einen Kilometer entfernt steht der Polizeipräsident von Münster, Hubert Wimber, vor der Geschwister-Scholl-Realschule und macht sich Gedanken darüber, wie es zu so einer Tragödie kommen konnte. "Gab es denn gar keine Indikatoren im sozialen Umfeld?", fragt er. "Hat da irgendein Frühwarnsystem nicht funktioniert? Haben die Eltern nichts mitbekommen?" Der 18 Jahre alte Täter habe in einer "ganz normalen" Familie gelebt, er hatte eine 14-jährige Schwester und einen 16-jährigen Bruder. Am Montag fuhr er mit einem Opel Astra, der auf seine Großmutter zugelassen war, zur Schule. Der Wagen war vollgepackt mit Sprengmaterialien.

"Wir hatten Glück im Unglück", sagt Wimber. Nur der gut funktionierende Polizeieinsatz habe verhindert, dass der frustrierte Ex-Schüler sein Waffenpotenzial zum Einsatz bringen konnte. "Als die Sondereinsatz-Kräfte in die Schule eindrangen, wurde der Druck immer größer auf ihn, um 10.39 Uhr wurde er leblos im zweiten Obergeschoss aufgefunden", schildert Wimber nüchtern den Hergang des Unfassbaren.

Der Polizei liegen bisher keine Erkenntnisse darüber vor, wie der Jugendliche an die Waffen kam. Von einer Vernehmung des Umfelds erhoffen sich die Beamten Aufschlüsse über die Motivation des Täters. Die Suche nach Internetauftritten wie dem des 18-jährigen Amokläufers vergleicht Hubert Wimber mit der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. "Es gibt Abermillionen von Websites", sagt er. "Da helfen uns Google und andere Zufallsfunde nicht weiter. Es bleiben Zufallsfunde." Zu einem Verbot Gewalt verherrlichender PC-Spiele will sich der Polizeipräsident nicht äußern: "Das ist Sache der Politik."

Unterdessen warnt der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) vor weiteren potenziellen Amokläufern an deutschen Schulen. Es gebe viele Jugendliche, die sich als Verlierer begriffen, erklärte der Verband am Dienstag in Berlin. Er verwies auf eine Untersuchung der Universität München, wonach jede Schulklasse ein bis zwei Mobbing-Opfer hat. Dabei handele es sich um Jugendliche, die immer wieder zurückgewiesen und abgewertet würden. Ihnen müsse dringend psychologische Hilfe angeboten werden. Das könne aber nur geschehen, wenn es genügend Schulpsychologen gebe.