Kommentar: Einigung von SPD und Union

Wenn beide Seiten nach einem Kompromiß unzufrieden sind, kann die gefundene Einigung nicht so schlecht sein. Denn offensichtlich hat keiner den anderen übervorteilt, fühlt sich keine Partei als alleiniger Sieger.

So sieht es auch derzeit in Berlin aus. Die Union freut sich zwar, Angela Merkel endlich dem Kanzleramt den entscheidenden Schritt näher zu haben. Der Preis scheint vielen allerdings recht hoch. Die entscheidenden Ressorts - etwa das für Finanzen - soll die SPD bekommen. Umgekehrt beklagen viele Genossen, daß ihnen vor allem die problembeladenen Reform-Ministerien gehören sollen. Abgesehen davon, daß manchen noch immer eine CDU-Kanzlerin und ein Abschied von Gerhard Schröder schwer erträglich scheint.

Aus dieser Situation läßt sich zweierlei machen: Wenn bis Mitte November alle inhaltlichen Fragen geklärt und die Posten ausgehandelt sind, könnte eine Regierung des guten Willens mit ihrer satten Mehrheit im Bundestag entscheidende Reformen auf den Gebieten Steuern, Sozialsysteme und Arbeitsmarkt entschlossen anpacken und mit der knappen schwarz-roten Mehrheit im Bundesrat auch zügig umsetzen. Diese geradezu historische Chance ist im föderalen System Deutschlands nicht oft gegeben.

Es könnten aber auch die ideologisch verbohrten Kandidaten beider Seiten weiter ihre Wunden lecken, das Augenmerk ausschließlich auf den Vorteil der eigenen Partei und der privaten Karriere legen. Schon eine verlorene Landtagswahl könnte die eine oder andere Seite nervös machen und zum Abweichen von einer gemeinsamen Reformlinie bringen. Was bliebe, wäre eine holpernde Regierung des kleinsten gemeinsamen Nenners. Eine vertane Chance für Deutschland.

Um das zu verhindern, bedarf es einer starken und geschickten Kanzlerin. Sie muß von ihrer Richtlinienkompetenz im Kabinett und von der Macht des Amtes geschickt Gebrauch machen, um den Kurs zu halten und Querulanten zu zähmen.

Letztere gibt es in nicht geringer Zahl auch im Unionslager. Als CDU-Chefin hat Angela Merkel ihre Riege von Ministerpräsidenten und sonstige Konkurrenten für manche überraschend gut im Griff gehabt. Nun aber geht es nicht mehr um einen Parteivorsitz, der nach dem Spendenskandal ohnehin nicht von jedermann begehrt war. Nun geht es um die Macht in Deutschland. Und um die Zukunft des Landes, die Vorrang vor persönlichen Ambitionen haben muß. Soviel dürfen die Wähler von ihren Regierenden verlangen.