Ansichtssache

Seit dem Mittelalter ist die katholische Kirche quasi die Mutter aller Event-Veranstaltungen. Keine andere Institution hat soviel und so lange Erfahrung darin, Menschen auf großen religiösen Festen zu versammeln. Papst Johannes Paul II. - ein "geborener Show-Papst", wie die Theologin Uta Ranke-Heinemann sagt - hat es der Welt vorgemacht. Sein Nachfolger hat damit ein schweres Erbe angetreten: Wie läßt sich nun die starke Präsenz der Kirche in Öffentlichkeit und Medien aufrechterhalten?

Der katholische Weltjugendtag in Köln ist zweifellos eine gute Gelegenheit. Um noch mehr junge Menschen einzuladen, hat Papst Benedikt XVI. jedem, der "mit entsprechender Gesinnung" an einer der Veranstaltungen und am Abschlußgottesdienst teilnimmt, einen Sonderablaß seiner Sündenstrafen in Aussicht gestellt.

Im Verständnis der katholischen Kirche wird die Schuld dem reuigen Sünder zwar im Beichtstuhl vergeben, er muß aber noch dafür büßen. Zum Beispiel durch Gebete oder Fasten. Wobei die Frage, was - abgesehen von Straftaten - alles unter "Sünde" fällt, heute ja schon eine Diskussion auslöst.

Aber daß die kleineren Sünden Tausender Menschen nun, per Dekret von Rom aus, allein für den Besuch einer Großveranstaltung erlassen werden, ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich.

Nicht nur für protestantische Beobachter und für kirchenferne Menschen, die an himmlische Tauschgeschäfte nicht glauben, sondern auch für viele moderne Katholiken. So ein kollektiver Ablaß, sagen viele katholische Laien, hat seit langem in der Kirche keine Rolle mehr gespielt.

Papst Benedikt XVI. wollte mit diesem "Sonderangebot" sicher seiner Freude auf das Treffen mit Jugendlichen aus aller Welt Ausdruck verleihen. Aber er hat auch unangenehme Erinnerungen geweckt. Denn es war ja nicht zuletzt die Ablaß-Praxis, die vor 480 Jahren zur lutherischen Reformation und damit zur Kirchenspaltung geführt hat. Wer damals seinen Obolus für den Bau des Petersdoms in Rom spendete, bekam auf dem Ablaßzettel die Vergebung der Sünden und die Rettung vor dem Fegefeuer schriftlich bestätigt. Eine rein finanziell-spirituelle Transaktion.

Martin Luther zog dagegen grundsätzlich zu Felde. Gegen die Vorstellung, man könne sich von Sünden loskaufen, setzte er die Gnade Gottes, die selbst den Sünder einschließt - und die sich überhaupt nicht erwerben läßt, mit keinem Tauschhandel, nicht einmal durch gute Werke der Nächstenliebe. Die einzige Voraussetzung, Gottes Gnade zu erreichen, sei die Reue. Also, in heutigen Worten, ein Problembewußtsein dafür, was man einem anderen Menschen angetan hat, und der Wille, es wieder gutzumachen. Auf dieser Vorstellung beruht die moderne individuelle Verantwortungs-Ethik: Jeder muß sich für sein Tun selbst verantworten - vor Gott, aber auch vor den Menschen. Es gibt keine (irdische) Autorität, die den einzelnen oder ganze Kollektive von dieser Verantwortung lossprechen kann.

Die Teilnahme am Weltjugendtag kostet nun allerdings nichts. Papst Benedikt XVI. hat also nicht die Idee des käuflichen Ablasses wiederbelebt. Dennoch: Wenn der Besuch des Weltjugendtags von Sünden befreien kann, kann dann nicht auch das Abonnement einer katholischen Zeitung, die Unterstützung eines Klosters, eine Pilgerfahrt oder die Spende für ein Behindertenheim von Sünden befreien? Ist das so einfach? Was bedeutet die Vorstellung eines Fegefeuers heute eigentlich? Und was für ein Gott ist das, der sich vom Nachfolger Petri in Rom, dem Bewahrer seiner Kirche, das letzte Wort in Sachen Gnade aus der Hand nehmen ließe?

Papst Benedikt XVI. hat mit seiner Einladung eine Verlockung ausgesprochen - und zugleich viele große Fragen aufgeworfen: nach dem Gottesverständnis der jungen Katholiken, ihrem Kirchenvertrauen, nach der Allheilkraft der Kirche. Er sollte die Fragen beantworten.