Sie will am liebsten mit der FDP regieren, mit der SPD nicht über Steuererhöhungen reden und Kernkraftwerke laufen lassen. Zu mehr lässt sich die Kanzlerin nicht hinreißen. Bilder von der Bundeskanzlerin. Bilder zum politischen Aschermittwoch.

Demmin. Beim Heimspiel der Kanzlerin nieselt es draußen unaufhörlich, drinnen riecht es nach Schweiß und Bier. Die stickige Tennis- und Squashhalle in einem tristen Gewerbegebiet ist kaum geschmückt. Von der Decke hängen je zwei Fahnen in den Farben der Bundesrepublik und von Mecklenburg-Vorpommern, dazu zwei in CDU-Orange. Mehr an Aufwand bedarf es nicht an diesem für Demmin so besonderen Moment. Denn diesen Tag schmückt ja schon allein mit ihrer Anwesenheit - die Bundeskanzlerin.

Angela Merkel hat sich Zeit gelassen, hat die politische Konkurrenz in den Mehrzweckhallen der Republik erst mal reden lassen. Erst am späten Nachmittag ist sie nach Demmin in den nordöstlichen Zipfel der Republik gekommen, in ihren Wahlkreis, ihre Heimat, dorthin, wo 2000 CDU-Anhänger sie mit Sambatrommeln, Standing Ovations und Jubeljauchzern begrüßen.

Als die Bundeskanzlerin ans Mikrofon tritt, ist es bereits Abend. Die Dramaturgie des Tages will diesen späten Auftritt, aber diese Dramaturgie verlangt zugleich den rhetorischen Höhepunkt des Tages. Seehofer, Steinmeier, Westerwelle, sie haben ihre Darbietungen hinter sich. Jetzt aber geht es erst richtig los, möchte man hoffen. Wäre da nicht - Angela Merkel.

Die Abteilung Attacke liegt der CDU-Chefin nicht. In Demmin sagt sie, dass sie "am liebsten mit der FDP" regieren und jetzt nicht wie die SPD über Steuererhöhungen reden möchte und dass sie "die guten, alten, noch intakten Kernkraftwerke nicht abschalten" will. Zu mehr Wahlkampf lässt sich die Kanzlerin noch nicht hinreißen.

Die polemische Abrechnung mit dem politischen Gegner hat die Bundeskanzlerin noch nie gemocht und nie recht beherrscht, weder als Generalsekretärin ihrer Partei noch als wahlkämpfende Kanzlerkandidatin 2005. Der politische Aschermittwoch, diese urbayerische Erfindung und seitdem die Paradedisziplin der CSU, ist dennoch so ein Ereignis, das die Kanzlerin nicht auslassen darf. Sie gehört immerhin zu den Gründungsmitgliedern der Aschermittwochsrunde in Vorpommern, die es seit 1995 gibt.

An einem Tag, an dem alle Parteien sich auch die Kanzlerin mit mehr oder weniger scharfen Worten vorknöpfen, muss sie angemessen antworten - ob sie will oder nicht. Doch wen soll sie gut ein halbes Jahr vor der Wahl angreifen? Ihren Koalitionspartner, die SPD, die erst ihre Kanzlerschaft ermöglicht hat? Ihren Wunschpartner, die FDP? Deren Stärke könnte der Kanzlerin bei der Bundestagswahl den Machterhalt sichern. Die CSU? Die Schwester aus dem Süden braucht Merkel dringender denn je, will sie weiter regieren.

Merkel entscheidet sich dann doch für einen Frontalangriff: auf die Banker. Sie kündigt an, dem Irrsinn der Bonuszahlungen für Bankmanager ein Ende zu setzen, wenn deren Geschäfte schlecht laufen. Da frohlockt die Menge im Saal. Und Merkel setzt nach: "Sonst haben wir aus dieser Krise nichts, aber auch gar nichts gelernt."

Doch dann geht Merkel schon in die Verteidigung. Es gehe bei der Rettung der Hypo Real Estate keinesfalls um "Verstaatlichung", sagt sie. Wer dieses mit der Politik der DDR vergleiche, wisse nicht, wie "die Menschen in der DDR gelebt haben". Die Banken seien zwar bislang vor einem Kollaps bewahrt worden, befänden sich aber nicht in dem Zustand wie vor der Wirtschaftskrise. Es müsse alles getan werden, um diesen wiederzuerlangen.

Die Kanzlerin ist nach Hause gekommen mit Nachrichten, die sie selbst nie für möglich hielt, und sie rechtfertigt politische Wege, die sie nie gehen wollte. Der Kanzlerin ist es noch nicht gelungen, den Menschen die weltweite Krise zu erklären. Und ihr immer sichtbarer werdendes Zögern und Abwarten - nicht zuletzt vor dem zweiten Konjunkturpaket - wird auch in ihrer eigenen Partei als Führungsschwäche und Konzeptlosigkeit wahrgenommen.

Ihrer wöchentlichen Internetbotschaften zum Trotz ist kaum ein Signal der Kanzlerin hängen geblieben. Eines war vielleicht, dass die Sparkonten sicher sind, ein anderes, dass 2009 ein Jahr der schlechten Nachrichten werde. Ausgerechnet diesen Satz wiederholt Merkel in der Tennishalle und fügt hinzu, dass auch in den nächsten Monaten schlechte Nachrichten verkraftet werden müssen. "Diese sollen uns aber nicht niederknüppeln und depressiv machen", sagt sie. Jeder trage die Verantwortung, der Staat könne nur Brücken bauen.

Deutliche Worte sehen anders aus. Demmin sollte dabei genau der Ort für "deutliche Worte" sein, so das Motto der Veranstaltung. Schließlich stehen noch viele Fragen im Raum, etwa nach Staatshilfen für Opel oder Schaeffler-Continental. Aber dazu schweigt Merkel. Was kann, was soll sie ihren Zuhörern in diesen unsicheren Zeiten auch versprechen? Mit Blick auf die von der Bundesregierung geschnürten Konjunkturpakete sagt Merkel nur, der Staat sei kein Unternehmer. Wenn er jedoch helfen könne, wolle er das tun, zum Beispiel mit Blick auf Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Es gehe dem Staat darum, die Selbstheilungskräfte der Märkte wieder zu stärken und die soziale Marktwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Der Applaus ist verhalten. Denn eigentlich können große Worte über die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise die Menschen in diesem Städtchen kaum beeindrucken.

Hier mitten in Vorpommern herrscht quasi ständig Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit im Kreis Demmin lag 2008 bei 21,5 Prozent und damit so hoch wie nirgendwo sonst in Mecklenburg-Vorpommern. 2004 hatte sie zwischenzeitlich 31,5 Prozent erreicht. Die Agentur für Arbeit ist hier demnach einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren.

Demmin mit seinen knapp 13 000 Einwohnern nennt sich stolz Hansestadt und ist doch ein trauriges Beispiel für eine Ostlandschaft, die nicht blüht, seit der Wiedervereinigung auch nie blühte und angesichts zunehmender Abwanderungen eher düster in die Zukunft blickt. In der Chronik der Kleinstadt heißt es, dies sei ein Handelsort mit faszinierender Geschichte, der Anfang des 20. Jahrhunderts seine besten Zeiten hatte. Die sind nun über 100 Jahre her.

In der Tennishalle sagt Angela Merkel zum Schluss, dass die jetzigen schlechten Nachrichten "uns nicht niederknüppeln und depressiv machen" sollen und dass "wir das schaffen".

Die Menge jubelt ihr zu und singt "Hoch soll sie leben". Eine Gruppe der Senioren-CSU aus Garching bei München ist auch dabei und schwenkt eifrig weiß-blaue Fähnchen. Und unter rhythmischem Klatschen verlässt die Bundeskanzlerin den Saal und geht hinaus in den Nieselregen, zurück in die Krise.