Zögerte die CDU-Chefin zu lange mit dem Rauswurf? In der Unionsfraktion bleibt Unbehagen.

Berlin. So deprimiert und bedrückt wie gestern Nachmittag sind die Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU schon lange nicht mehr zu einer Fraktionssitzung geschlichen. "Ich hab mir nicht gewünscht, dass ich einmal über einen Fraktionskollegen quasi zu Gericht sitzen muss", gestand der sonst so forsche CSU-Landesgruppenchef Michael Glos vorher ein. Und Volker Kauder (CDU), als Fraktionsgeschäftsführer Angela Merkels engster und wichtigster Mitarbeiter an der Spitze der Unions-Parlamentarier, berichtete aus dem Kreise der Abgeordneten, sie sagten, "so was hätten sie noch nie erlebt". Die Fraktion beriet auf energisches Betreiben ihrer Vorsitzenden Merkel den Ausschluss ihres in Verruf geratenen Kollegen Martin Hohmann aus dem hessischen Neuhof. Formell abgestimmt wird zwar erst am Freitag. Doch die Sache ist längst klar. Nach quälender Debatte über viele Tage hinweg hatte Merkel am Montag jedes Lavieren eingestellt, knallhart auf Hohmanns Rauswurf aus Partei und Fraktion plädiert und den Parlamentariern faktisch keinen Spielraum mehr gelassen. Vernichtend fällt jetzt ihr Urteil über die umstrittene Rede des uneinsichtigen Hessen vom 3. Oktober aus: "Diese Äußerungen haben antisemitischen Charakter und sind unter keinen Umständen hinnehmbar. Sie verstoßen gravierend gegen die Grundsätze der Fraktion und haben ihr in der Öffentlichkeit schweren politischen Schaden zugefügt." Das Vertrauensverhältnis zwischen Fraktion und Hohmann sei zerstört, "so dass als letzte Konsequenz nur noch Ausschluss aus der Fraktion übrig bleibt". Mit diesen Donnersätzen gab Merkel ihren Kurs glasklar vor. Wer will jetzt in der Fraktion noch für Hohmanns Verbleib stimmen? "Die Sache ist entschieden", sagt der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach aus Coburg. "Wer jetzt noch die Führung desavouiert . . ." Michelbach mag es sich nicht eine Sekunde lang vorstellen: "Das wäre undenkbar." Jeder in der Union wisse, munkeln andere hinter vorgehaltener Hand: Könnte sich Merkel jetzt nicht durchsetzen, dann wäre sie politisch am Ende. Gleichwohl hält sich im politischen Betrieb der Hauptstadt unüberhörbar auch das Geraune, Merkel habe viel zu lange gezögert und gezaudert. Sie habe in der Causa Hohmann viel zu viele Tage die Dinge schleifen lassen und erst gehandelt, als der Druck auf die Union fast unerträglich geworden sei. Zur Getriebenen sei sie geworden. Führungsstärke zeige sich anders. Gegen solche Kritik kämpft Merkels getreuer Kauder energisch an. Froh sei er, "dass wir eine Vorsitzende haben, die nicht im Hauruck-Verfahren entscheidet", sondern Kollegen die Chance auf Besinnung lasse. Das ist die wohl wollende Lesart. Andere murren, "unelegant" habe Merkel agiert, öffentlich eine schlechte Figur gemacht. Doch etliche sagen auch, der Umgang mit der Affäre Hohmann verrate viel über Merkels Führungsstil und ihr Gespür für "politisches Timing". Eigentlich sei sie schon vergangene Woche für Hohmanns Rauswurf gewesen, "entsetzt" nach der Lektüre von dessen Rede, heißt es in Unionskreisen. Doch das CDU-Präsidium beließ es da noch bei einer "Rüge". Die Furcht sei zu groß gewesen, dass sich die Abgeordneten "überfahren" fühlten. Viele wisperten da noch, in der Fraktion gebe es womöglich gar keine Mehrheit für einen Ausschluss Hohmanns. Doch als Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) am Dienstag den General Reinhard Günzel feuerte, weil der in einer Art Durchhalte-Brief Hohmann gelobt und bestärkt hatte, erhielt die Affäre eine neue Dynamik. Irgendwann Mitte der vergangenen Woche traf Angela Merkel dann innerlich für sich die Entscheidung. Seither, so behaupten Kundige, arbeitete sie hinter den Kulissen zielstrebig auf den Ausschluss des störrischen Kollegen hin, der sich auch in vielen Gesprächen uneinsichtig zeigte. Binnen weniger Tage schwor Merkel diskret alle CDU- und CSU-Granden auf ihren Kurs ein. Ein klarer Trennstrich sollte zum rechtsradikalen Spektrum gezogen, jedem Eindruck die Grundlage entzogen werden, die Union dulde in ihren Reihen womöglich Mitglieder und Parlamentarier, die durch eine schmuddelige Grauzone am Rande oder schon jenseits des demokratischen Spektrums geisterten. Intern geben Unionisten offen zu, dass die CDU-Granden, vor allem Merkel, in den vergangenen Tagen öffentlich nicht den besten Eindruck hinterlassen hätten. In anderen Zusammenhängen waberte schon häufiger in den vergangenen Jahren auch durch die Union der Vorwurf, Merkel laviere und zaudere zu oft und zu häufig und lasse dabei Führungskraft vermissen. Doch andere sagen, sie schiele weniger auf den optischen Tageserfolg, sondern sei mehr kühl auf die längerfristige Durchsetzung ihrer Ziele ausgerichtet. "Die ist auf der Langstrecke unterwegs", sagt einer aus den höheren Rängen der Partei. Und wenn es notwendig sei, dann sei "die Lady" knallhart. Merkel war es, noch als CDU-Generalsekretärin, die 1999 beherzt die öffentliche Distanzierung der CDU von Altkanzler Helmut Kohl in der Spendenaffäre einleitete. Friedrich Merz musste nach der knapp verlorenen Bundestagswahl 2002 trotz erbitterter Gegenwehr den Fraktionsvorsitz für Merkel räumen. In der CSU hat sie hohes Standing, weil sie es im Ringen um die Kanzlerkandidatur 2002 nicht auf einen Machtkampf mit ungewissem Ausgang gegen Edmund Stoiber ankommen, sondern ihm den Vortritt ließ. Im Wahlkampf stand die CDU loyal zu Stoiber. Auch das wird Merkel bei den Bayern hoch angerechnet. Seither versucht sie, die CDU programmatisch auf Kurs zu bringen. Ob in der Sozial-, Wirtschafts- oder Steuerpolitik, überall werden strikt marktwirtschaftliche Konzepte diskutiert. Neidvoll heißt es unter frustrierten und eher ratlosen Freidemokraten: "Merkel macht Guido Westerwelle gerade vor, wie man eine Programmdebatte führt." Und in der CDU sagen viele optimistisch, am Ende des Jahres könne keiner mehr der Partei vorhalten, sie habe keine Programme und Konzepte. Aber auch im Reformpoker dieser Tage und Wochen zieht Merkel ihre Fäden. Als schon keiner mehr damit rechnete, verständigten sich die unionsgeführten Länder doch noch auf einen gemeinsamen Kurs in der Steuerpolitik. Zuletzt habe Merkel den störrischen Hessen Roland Koch am vergangenen Donnerstag in einem heftigen Telefonat auf Linie gebracht, heißt es in Unionskreisen. Niemand zweifelt daran, dass Merkel die Kanzlerkandidatur 2006 im Visier hat. Mache sie bis dahin keine größeren Fehler, habe sie auch beste Chancen, sich gegen Stoiber und Koch durchzusetzen. Bisher habe sie überwiegend "pannenfrei" agiert. Aber kommt sie nun ohne Blessuren auch aus der Hohmann-Affäre? "Mit einigem zeitlichem Abstand", prognostiziert einer, werde man wohl nur noch sagen: "Sie hat durchgegriffen."