Selten schrieben uns so viele Leser. Was ist antisemitisch an Hohmanns Rede? Wolfgang Benz, der deutsche Experte, erläutert es.

ABENDBLATT: Worin besteht die Gefahr der Rede Hohmanns? Wolfgang Benz: Ich sehe zwei Gefahren. Die eine ist bereits eingetreten.Viele haben den Text nicht gelesen und wissen deshalb nicht, wie schrecklich er ist. Aber sie spenden Beifall und versichern Hohmann ihre Solidarität, weil sie nur auf den Zweck seiner Argumentation einsteigen, aber nicht auf die Argumentation selber. Der Zweck aber ist, etwas zur nationalen Identität beizutragen, sozusagen das Haupt wieder aufrecht tragen zu dürfen. Dabei bedient Hohmann sich einer lückenlos antisemitischen Argumentation, wie sie auch Goebbels und die Nazis gebraucht haben. ABENDBLATT: Hohmann betont, dass sich die Deutschen auf einzigartige Weise mit den Verbrechen der Nazis beschäftigt und für Wiedergutmachung eingesetzt haben. Ist das so falsch? Benz: Das ist zunächst eine unangreifbare Feststellung. Wäre da nicht im selben Atemzug der Hinweis, dass die Juden die kommunistische Revolution mitgeprägt haben, in deren Verlauf Millionen Menschen ermordet worden seien. Und das nutzt Hohmann, um zu assoziieren, dass wir Deutsche uns für etwas eingesetzt haben, das es nicht wert ist. ABENDBLATT: Hohmann stellt weiter die Frage, ob Juden ausschließlich die Leidtragenden waren. Ist das nicht auch ein Versuch, die Juden aus ihrer Opferrolle herauszuholen, um sie leichter als Täter zu diffamieren? Benz: Ja, damit nimmt er eine uralte sozialpsychologische Argumentation auf, die so geht: "Wenn die anderen auch so viel Schuld auf sich geladen haben, relativiert sich unsere eigene." ABENDBLATT: Manipuliert er damit die historische Wahrheit? Benz: Natürlich. Es stimmt ja alles nicht, was Hohmann sagt. ABENDBLATT: Aber gehört nicht zur Wahrheit, dass die bolschewistische Revolution auch von Juden gemacht wurde? Benz: Nein, das gehört nicht zur Wahrheit. Hier werden Leute wie Trotzki oder Sinowjew zu Juden bestimmt, die sich selber überhaupt nicht so fühlten. Trotzki hat die Weltrevolution nicht als Jude ausgerufen, sondern als russischer Revolutionär. Dass er aus der jüdischen Tradition kam, spielt da keine Rolle. Leute wie Goebbels oder jetzt Hohmann treiben diese Leute in ein Judentum zurück, das die längst verlassen hatten. Es ist die nationalsozialistische Methode zu sagen: Wer Jude ist, bestimmen wir. ABENDBLATT: Was hat es mit dem Begriff des jüdischen Tätervolkes auf sich, den Hohmann verwendet? Ist dieser Begriff nicht per se unsinnig? Benz: Dieser Begriff ist genauso unsinnig wie der der Kollektivschuld. Niemals wurde eine Kollektivschuld der Deutschen konstatiert. Hohmann nutzt diesen Begriff ja auch nur, um zu beweisen, dass der Vorwurf, die Deutschen seien ein Tätervolk, unberechtigt ist. Und damit die deutsche Schuld zu relativieren. ABENDBLATT: Konnte Hohmann eine solche Rede halten, weil 60 Jahre nach Kriegsende das moralische Erbe von Auschwitz versiegt? Benz: Möglicherweise schon. Es wird ja immer wieder probiert. Dahinter steht der Ruf, drei Generationen später müsse doch endlich mal Schluss sein. Das ist subjektiv ganz richtig. Ich selber bin Jahrgang 1941 und habe natürlich keinen persönlich schuldhaften Anteil an dem Geschehen. Das entbindet mich aber nicht von der Pflicht, sensibel zu sein. ABENDBLATT: Wie beeinflusst die Rede die Diskussion, ob wir Deutsche latent antisemitisch sind? Benz: Alle, die sich mit Hohmann solidarisch erklären, sagen im selben Atemzug mit tiefster Überzeugung, dass sie mit Antisemitismus nichts zu tun haben. Und das wird in aller Regel auch zutreffen. Das ist vielmehr ein deutsch-nationaler Diskurs, der eher etwas mit der These zu tun hat, dass Deutsche im Zweiten Weltkrieg auch Opfer waren. ABENDBLATT: Besteht dann nicht die Gefahr, dass Hohmann jetzt zum Märtyrer wird? Benz: Möglicherweise. Wenn man ihn aber in der Partei lässt, dann verwischt eine demokratische Partei Grenzen zum rechtsradikalen Spektrum hin. Und das wäre der schlimmere Sündenfall. Außerdem zeigen Sanktionen für Hohmann etwaigen Gesinnungsgenossen Grenzen auf, dass man nicht ungestraft mit diesen dümmlichen und historischen Manipulationen arbeiten darf. Interview: HOLGER DOHMEN