Regierung belastet alle Kassenpatienten: Ab 2004 Praxisgebühren und höhere Zuzahlungen.

Berlin. Raucher sollen ab Januar 2004 mit einer höheren Tabaksteuer von einem Euro pro Schachtel zur Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen beitragen. Darauf verständigten sich gestern SPD und Grüne in einer Koalitionsrunde bei Bundeskanzler Schröder. Aber nicht nur die Raucher werden zur Kasse gebeten. Auf alle 71 Millionen Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen kommen im Rahmen der rot-grünen Gesundheitsreform erhebliche Mehrbelastungen von insgesamt etwa 20 Milliarden Euro zu. Damit, so Rot-Grün, sollen die Beitragssätze (derzeit durchschnittlich 14,3 Prozent) auf unter 13 Prozent sinken. Im Einzelnen sollen am 1. Januar 2004 folgende Maßnahmen in Kraft treten: - Die Tabaksteuer steigt um einen Euro pro Schachtel. Die 2,8 Milliarden Euro Mehreinnahmen sollen voll den Kassen zufließen, um etwa Mutterschafts- und Sterbegeld sowie Haushaltshilfen zu bezahlen. - Das Krankengeld soll zwar weiter von den gesetzlichen Kassen gezahlt werden. Die Versicherten sollen aber die Kosten von 7,6 Milliarden Euro alleine über einen Zusatzbeitrag schultern. Bisher zahlen Arbeitgeber die Hälfte. - Die Kosten für künstliche Befruchtung und Sterilisation sollen Patienten selbst tragen. - Rentner, die Betriebsrenten oder ein zusätzliches Arbeitseinkommen beziehen, sollen künftig den vollen Kassenbeitrag zahlen und nicht mehr nur den halben. Mehreinnahmen: 1,9 Milliarden Euro. - Die Zuzahlungen für Arzneien sollen erhöht werden. Die Höhe ist noch umstritten. Bisher sind es je nach Packungsgröße 4, 4,50 und 5 Euro. - Patienten sollen frei verkäufliche Arzneien aus eigener Tasche zahlen. Ausnahmen sind für Kinder geplant. Einsparung: eine Milliarde. - Patienten, die ohne Überweisung ihres Hausarztes zum Facharzt gehen, sollen künftig eine Praxisgebühr (voraussichtlich 15 Euro) bezahlen. Außerdem will Rot-Grün mit weitreichenden Reformen der Versorgungsstrukturen das Gesundheitswesen besser und billiger machen. Die Details: - Das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) soll fallen. Neu hinzukommende Fachärzte sollen künftig Einzelverträge mit den Krankenkassen abschließen müssen. Bisher handeln die KVen Kollektivverträge für alle Ärzte aus. - Der Hausarzt soll zum "Lotsen" der Patienten aufgewertet werden, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Die Krankenkassen sollen verpflichtet werden, Versicherten Bonussysteme anzubieten, die immer zuerst zum Hausarzt gehen. Auch Versicherte, die regelmäßig zur Vorsorge und Prävention gehen, sollen belohnt werden. - Nach Vorbild der DDR-Polikliniken will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) Gesundheitszentren fördern und die ambulante fachärztliche Versorgung an den Kliniken erweitern. - Rot-Grün will den Versandhandel von Arzneien erlauben und das Verbot aufheben, mehrere Apotheken zu besitzen. Ein Apotheker darf dann bis zu fünf Filialen betreiben, muss allerdings in jeder mindestens einen Apotheker anstellen. - Ein neues "Zentrum für Qualität in der Medizin" soll Kosten und Nutzen von Arzneien bewerten und über deren Aufnahme in den Kassenkatalog entscheiden. - Schmidt will eine Patientenquittung sowie später eine elektronische Gesundheitskarte einführen. Darauf sollen alle Behandlungen, Überweisungen durch Ärzte, Rezepte und Notfalldaten gespeichert werden. Auch soll ein Patientenbeauftragter berufen werden. Der endgültige Gesetzentwurf für die Gesundheitsreform 2004 soll in wenigen Tagen vorgelegt werden. Wie Ministeriumssprecher Klaus Vater mitteilte, müssen die Experten noch "letzte Detailfragen" wie etwa die Höhe der Zuzahlung bei Arzneien klären.