Über die Tabaksteuer-Erhöhung war der Finanzminister nicht informiert. Und neue Steuerausfälle machen seine Haushaltsplanung zur Makulatur.

Berlin. Einst galt er in Gerhard Schröders Kabinett als Vorzeigeminister mit Kanzlerformat. Inzwischen aber halten selbst die Koalitionäre von Rot-Grün ihren Kassenwart Hans Eichel für weitgehend gescheitert. Gestern Mittag musste der Bundesfinanzminister ein weiteres Mal die Segel streichen. Immer wieder hatte er früher sein Credo verkündet: "Die Steuerbelastung wird nicht steigen, sondern sinken." Noch am Mittwoch hatte er seinen Sprecher in der Debatte um eine Erhöhung der Tabaksteuer erklären lassen: "Wir halten diesen Weg für irreführend." Es gebe keine Pläne in diese Richtung. Eichel war nicht im Bilde. Denn hinter den Kulissen der Koalition sammelte sich schon eine Mehrheit für die Erhöhung der Tabaksteuer. Von 60 Cent pro Zigarettenpackung war da noch die Rede. Doch gestern verabredeten die Spitzen von Rot-Grün im Kanzleramt, noch viel kräftiger zuzulangen. Sie beschlossen, im Zuge der Gesundheitsreform die Tabaksteuer gleich um einen Euro pro Zigarettenpackung anzuheben, voraussichtlich zum 1. 1. 2004. Die Erhöhung der Tabaksteuer ist laut Bundesfinanzministerium im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Ihre Erhöhung könnte die Union deshalb in der Länderkammer auch nicht verhindern. Laut Scholz stimmte auch Eichel der Steuererhöhung zu. In der Führungsetage des Finanzministeriums herrscht dem Vernehmen nach allerdings jetzt ziemlich viel Verzweiflung. Denn nun schießt die Koalition einen Eckpfeiler von Eichels Politik in Trümmer, bei dem er sich im Bunde mit dem Kanzler wähnte. "Steuererhöhungen sind in der jetzigen konjunkturellen Situation unsinnig. Und deswegen ziehen wir sie auch nicht in betracht", hatte Schröder markig verkündet. Das war allerdings vor der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres. Auch danach galt diese Devise zunächst weiter. Olaf Scholz, der SPD-Generalsekretär, sagte am 1. Oktober 2002 im Abendblatt-Interview: "Wir wollen keine Steuererhöhungen." Seinerzeit hatte auch Schröder noch einmal Front gegen Steuererhöhungen gemacht, auch gegen eine Anhebung der Tabaksteuer. Für die hatte sich bereits damals Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) stark gemacht und diese Idee auch später nie aus dem Auge verloren. Deshalb gilt sie jetzt als Siegerin. Ulla Schmidt will mit der Gesundheitsreform erreichen, dass bestimmte, als versicherungsfremd bezeichnete Leistungen wie das Mutterschaftsgeld nicht mehr aus Beiträgen der Krankenversicherten finanziert werden, sondern aus allgemeinen Steuermitteln. Auch das soll eine Senkung der Krankenkassenbeiträge und so der Lohnnebenkosten ermöglichen, deren Höhe die Schaffung neuer Arbeitsplätze erschwert. Massenhafte Arbeitsplatz-Verluste befürchten aber erst einmal Zigarettenindustrie und Gewerkschaften von der Tabaksteuer-Erhöhung. Nun saniert sich Ulla Schmidt mit Rückendeckung des Kanzlers gleichsam auf Hans Eichels Kosten. Er muss nicht nur gegen seinen Willen eine saftige Steuererhöhung mittragen. Inzwischen ist auch seine gesamte Haushaltsplanung Makulatur. Erst vor sieben Wochen wurde der Etat 2003 verabschiedet. Nun verlautet aus dem Arbeitskreis Steuerschätzung, Bund, Länder und Kommunen müssten 2003 mit Steuerausfällen von acht bis 15 Milliarden Euro rechnen. Die Hälfte davon müsste der Bund verkraften. Die offizielle Prognose legen die Steuerschätzer nächsten Donnerstag vor. Doch schon jetzt ist klar, dass der Bund die Neuverschuldung 2003 nicht bei den geplanten 18,9 Milliarden Euro halten kann. Denn die Bundesanstalt für Arbeit braucht eine Milliardenspritze, die bisher nicht eingeplant ist. Deshalb dürfte die Kreditaufnahme auf mindestens 30 Milliarden Euro klettern. Da nicht nur der Bund, sondern auch etliche Länder ihre Neuverschuldung ausweiten müssen, wird Deutschland die Euro-Stabilitätskriterien auch in diesem Jahr klar verfehlen. Das Staatsdefizit nähert sich der Vier-Prozent-Marke. Erlaubt sind drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eichels wichtigstes Ziel, 2006 erstmals seit Jahrzehnten einen Etat ohne neue Kredite vorlegen zu können, ist nach Meinung der Grünen nicht mehr zu erreichen. Aus der Opposition gibt es bereits Rufe nach einem Rücktritt Eichels. In der Koalition wird er offiziell noch gestützt. Dass er wie sein Haushalt im Sturzflug ist, bestreitet dort aber intern keiner.