Hunderte Demonstranten harrten am Sonntagmorgen auf demTahrir-Platz aus. Massenproteste sind vor den Parlamentswahlen angekündigt.

Kairo. Einen Tag vor Beginn der Parlamentswahlen in Ägypten macht die Protestbewegung weiter Druck auf den regierenden Militärrat. Hunderte Demonstranten harrten auch am Sonntagmorgen auf dem Kairoer Tahrir-Platz aus. Sie hatten in Zelten im Stadtzentrum übernachtet, um den Platz weiterhin besetzt zu halten. Für den Nachmittag riefen Oppositionsgruppen erneut zu Massenprotesten auf. Vor dem etwa 500 Meter entfernten Kabinettsgebäude setzten Aktivisten ihre Sitzblockade fort. Sie wollen den vom Militärrat zum neuen Ministerpräsidenten ernannten Kamal al-Gansuri daran hindern, das Gebäude zu betreten. Die Protestbewegung sieht in Al-Gansuri einen Vertreter des alten Regimes.

+++Gansuri neuer Ministerpräsident in Ägypten+++

Auch von politischer Seite geraten die Generäle unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi zunehmend in Zugzwang. So hat Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei inzwischen seine Bereitschaft erklärt, eine neue zivile Übergangsregierung zu bilden, wie sein Büro bestätigte. Für diese Aufgabe würde er auch auf eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl verzichten, hieß es. Die Entscheidung sei nach einem Treffen mit Vertretern der Jugendbewegung and anderer Oppositionsgruppen gefallen.

El Baradei hatte am Samstag mit Tantawi bei einem Einzelgespräch über die aktuelle Lage beraten. Viele Anhänger der Protestbewegung fordern, dass das Militär die Macht an eine zivile Übergangsregierung unter Führung des ehemaligen Direktors der internationalen Atomenergiebehörde IAEA übergibt. Ab Montag wird in Ägypten erstmals seit dem Sturz von Husni Mubarak ein neues Parlament gewählt. Das Ergebnis wird aber erst im Januar feststehen, weil die Ägypter in den Provinzen zeitversetzt wählen.

Angriffe auf friedliche Demonstranten mit Giftgas?

Zuvor nahmen die Spannungen zwischen Sicherheitskräften und Protestlern in Kairo zu, nachdem die Vorwürfe laut wurden, dass friedliche Demonstranten auf dem Tahrir-Platz mit einem Giftgasgemisch attackiert wordens seien. Die Staatsanwaltschaft prüfe entsprechende Vorwürfe gegen die Ordnungspolizei, teilten Justizkreise am Freitag mit. Für die Untersuchung seien Tränengasgranaten aus Munitionsdepots der Polizei und leere Granathülsen von der Straße eingesammelt worden. Während der jüngsten Proteste in Kairo und anderen Städten wurden seit Freitag vergangener Woche laut Gesundheitsministerium 41 Menschen getötet, davon 36 in der ägyptischen Hauptstadt.

Die ägyptisch-amerikanische Journalistin Mona al-Tahawy ist nach eigenen Angaben während der Proteste in Kairo von der Polizei geschlagen, festgenommen und sexuell misshandelt worden. Die bekannte Publizistin berichtete nach ihrer Freilassung am Freitag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter und in Interviews mit verschiedenen TV-Sendern von ihren Erlebnissen im Gebäude des Innenministeriums. Ihren Angaben zufolge wurde sie von Angehörigen der Ordnungspolizei festgenommen, als sie Mittwochnacht Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten in der Nähe des Tahrir-Platzes fotografierte.

Anschließend habe man ihr die Augen verbunden und sie begrapscht. "Ich konnte irgendwann nicht mehr mitzählen, wie viele Hände versuchten, in meine Hose zu gelangen", schrieb al-Tahawy. Während dieser Tortur habe sie sich damit getröstet, dass sie hinterher einen Artikel schreiben würde über das, was ihr geschah. Eine Röntgenaufnahme zeige, dass ihr linker Arm und ihre rechte Hand als Folge der Schläge gebrochen seien, schrieb sie weiter.

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo versammelten sich erneut Zehntausende Demonstranten. Die Proteste richten sich gegen den Obersten Militärrat, der das Land seit der Entmachtung von Präsident Husni Mubarak im vergangenen Februar lenkt. Am Freitagsgebet auf dem Platz nahm auch Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei teil, der als Präsidentschaftskandidat antreten will. Ein ehemaliger Ministerpräsident des gestürzten ägyptischen Machthabers Husni Mubarak soll nach dem Willen des regierenden Militärrats eine neue Übergangsregierung anführen. Wie im ägyptischen Staatsfernsehen bekannt gegeben wurde, soll Kamal al-Gansuri die Nachfolge von Essam Scharaf antreten, der diese Woche nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten als Regierungschef zurücktrat.

Gansuri war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident. Zuvor diente er als stellvertretender Regierungschef und Planungsminister. "Unrechtmäßig! Unrechtmäßig!", riefen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, als sie von Gansuris Ernennung erfuhren. "Er war nicht nur Ministerpräsident unter Mubarak, er war auch insgesamt 18 Jahre Teil des alten Regimes", sagte der 29-jährige Aktivist Mohammed al-Fajumi. "Warum hatten wir überhaupt eine Revolution?"

Am Montag beginnt die erste Phase der Parlamentswahl, bei der sich mehr als 6000 Kandidaten zur Wahl stellen. Dabei wird sich zeigen, wie viele Ägypter tatsächlich hinter der Forderung nach Demokratie und Menschenrechten stehen. Denn die Unterschiede zwischen Stadt und Land, Akademikern und Analphabeten sind enorm. Am Montag wird zunächst in Kairo, Alexandria und sieben weiteren Provinzen gewählt. Die restlichen der insgesamt 27 Provinzen werden Mitte Dezember und Anfang Januar folgen. Zwei Drittel der 498 Sitze sind für die Kandidaten der Parteienlisten reserviert. Ein Drittel der Kandidaten wird direkt gewählt.

Das endgültige Wahlergebnis soll erst am 13. Januar vorliegen. Danach folgen, wenn alles nach Plan läuft, die Wahl der zweiten Kammer, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Wahl eines neuen Präsidenten. Seit Wochen wird in Kairo von einem geheimen "Deal" der Islamisten mit dem Militär gemunkelt. Doch Beweise dafür hat bislang niemand vorgelegt.