Militärrat macht politische Zugeständnisse. Dennoch dauern die Schlachten in den Straßen der ägyptischen Hauptstadt an. Schon 37 Tote.

Kairo. Ungeachtet politischer Zugeständnisse des herrschenden Militärrats in Ägypten sind die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Kairo und anderen Städten weitergegangen. Der Hass der Dauerdemonstranten richtet sich nun vor allem gegen die Polizei.

So versuchten Aktivisten nach Angaben von Augenzeugen erneut, bis zum Innenministerium vorzudringen. "Sie wollen das Ministerium anzünden", sagte ein Beobachter auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Dort setzte die Polizei wieder Tränengas gegen Steine werfende Demonstranten ein. Diese erklärten, die staatlichen Einsatzkräfte hätten sie außerdem mit Schrot- und Gummigeschossen angegriffen. Die Zahl der Toten der seit dem Wochenende anhaltenden Proteste stieg nach unbestätigten Berichten auf 37, nachdem in der Hafenstadt Alexandria ein weiterer Mensch ums Leben gekommen war.

Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay forderte eine unabhängige Untersuchung und rief die ägyptischen Behörden dazu auf, "die ganz klar exzessive Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten" zu beenden. Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierte ebenfalls an den Militärrat und die Sicherheitskräfte, nicht mit Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorzugehen.

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Vielen Demonstranten gingen die Zugeständnisse, die der Chef des Militärrats, Mohammed Hussein Tantawi, am Vorabend gemacht hatte, nicht weit genug. Der Feldmarschall hatte in einer Fernsehansprache zugesagt, die Präsidentenwahl und damit die Übergabe der Macht an ein ziviles Staatsoberhaupt um etwa ein halbes Jahr auf Juni 2012 vorzuziehen. Ursprünglich hatte das Militär jedoch erklärt, spätestens sechs Monate nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak im Februar in die Kasernen zurückzukehren. Damals hatte der Militärrat de facto die Führung Ägyptens übernommen, zunächst noch mit großer Unterstützung der Öffentlichkeit, da er zum Ende der Ära Mubarak beigetragen hatte. Nun aber lässt der Übergang zur Demokratie auf sich warten. Viele Ägypter meinen, dass sich trotz der Revolution im Land nicht wirklich etwas geändert hat.

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Auch die Versicherung Tantawis, am Montag wie geplant die Parlamentswahl auf den Weg zu bringen, konnte die Gemüter nicht beruhigen. Die Abstimmung wird als die erste wirklich freie Wahl seit Jahrzehnten in Ägypten angepriesen. Doch das Verfahren ist hoch kompliziert, und die Zusammensetzung der beiden Parlamentskammern wird voraussichtlich erst im März feststehen. Erst dann kann damit begonnen werden, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Zudem sind viele Details im politischen Prozess noch unklar. Beispielsweise weiß niemand, welche Rolle der künftige Präsident spielen wird. Vieles deutet darauf hin, dass der Präsident künftig deutlich weniger Befugnisse haben wird als zuvor.

Auch Tantawis Angebot, früher abzutreten, wenn dies per Volksabstimmung entschieden werden sollte, stößt auf Argwohn. Viele sehen darin ein leeres Versprechen, das nur darauf abzielt, die eskalierende Lage wieder in den Griff zu bekommen.

"Hau ab, hau ab. Das Volk will den Marschall stürzen", skandierten denn auch Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, die dort einmal mehr zum Teil die ganze Nacht ausgeharrt hatten. Andere hängten eine Puppe auf, die Tantawi darstellen sollte. Viele trugen Atemschutzmasken, um sich vor den Tränengasschwaden zu schützen. Rettungswagen fuhren die Verletzten weg. "Mit Tagesanbruch haben sie angefangen, uns zu beschießen, weil sie uns dann sehen konnten", sagte ein 32 Jahre alter Möbeltischler.

Die Polizei hat erklärt, sie habe keine scharfe Munition eingesetzt. Doch Ärzten zufolge wiesen viele der Menschen, die in den vergangenen fünf Tagen getötet wurden, Schusswunden auf. Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, erklärte, offensichtlich seien Tränengas, Gummigeschosse und scharfe Munition gegen Demonstranten eingesetzt worden. Das Vorgehen des Militärs und der Sicherheitskräfte habe die Lage nicht verbessert, sondern aufgepeitscht. "Wir erleben einen weiteren Gewaltausbruch durch den Staat gegen seine zunehmend und zu Recht verärgerten Bürger."

"Im neuen Ägypten, das ja freiheitlich und demokratisch sein will, kann Unterdrückung und kann auch Gewalt gegen friedliche Demonstranten keinen Platz haben", sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Bundeskanzlerin Angela Merkel verfolge die Zuspitzung der Situation mit großer Sorge. Aus Sicht Berlins sei die Forderung der Demonstranten nach einem schnellen Übergang zu einer zivilen Regierung verständlich. "Wir hoffen, dass der ägyptische Militärrat diesen Forderungen Gehör schenkt." Mit den verschiedenen Oppositionsgruppen müsse der Militärrat einen Plan entwickeln, wie der Übergang zu einer wirklichen Demokratie und zur Wahl eines demokratisch legitimierten Präsidenten gestaltet werden solle. Auch das französische Außenministerium verurteilte den exzessiven Gebrauch von Gewalt gegen die Demonstranten.