Schlagstöcke, Stahlkabel und kochend heißes Wasser: Irans Staatsmacht geht mit Brutalität gegen die protestierende Opposition vor.

Teheran. Der Demonstrant ist zerschunden und erschöpft. „Ich höre immer noch die Schreie der Frauen, und mein ganzer Körper tut mir weh“, erzählt er. Er und andere Augenzeugen berichten von Schlagstöcken, Stahlkabeln und kochend heißem Wasser. Das sind die Waffen, welche die iranische Staatsmacht gegen die Protestler in Teheran einsetzt. Die Angaben zu überprüfen ist nicht möglich. AFP darf ebensowenig wie andere ausländische Medien aus direkter eigener Anschauung über die Kundgebungen und die Gewalt auf den Straßen der iranischen Hauptstadt berichten.

„Brutal“ seien die iranischen Sicherheitskräfte, berichten die Menschen übereinstimmend. Der Demonstrant, der wie alle anderen Augenzeugen aus Angst anonym bleiben will, erzählt von seinen Erlebnissen am Samstag: „Wir sind auf dem Bürgersteig des Enkelab-Platzes gegen vier Uhr nachmittags losgegangen und dann rund eine Stunde lang ruhig die Asadi-Allee entlanggegangen. Immer mehr Menschen haben sich uns angeschlossen. Wir waren ungefähr tausend.“ Die Protestler widersetzten sich damit dem landesweiten Demonstrationsverbot. Die Asadi-Allee verbindet den Enkelab- mit dem Asadi-Platz, den zentralen Orten der Kundgebungen in den vergangenen Tagen.

Dann sei es losgegangen: „Sicherheitsleute auf Motorrädern haben uns eingekreist und brutal auf uns eingedroschen. Als wir weggerannt sind, haben die Bassidsch-Milizionäre mit ihren Schlagstöcken schon in den Seitenstraßen auf uns gewartet. Aber die Anwohner haben uns die Türen geöffnet und uns reingelassen, wenn wir in einer Sackgasse steckten“, berichtet der Mann weiter. Kaum in Sicherheit vor Polizei und den Bassidsch-Milizionären hätten die Demonstranten sich neu formiert und „Tod dem Diktator“ gerufen.

Die Milizionäre gehören einer Einheit der Revolutionsgarden an. Sie patrouillierten nach anderen Angaben vor allem auf Motorrädern und waren außer mit Schlagstöcken auch mit Eisenstangen und Stahlkabeln bewaffnet. Zudem habe die Polizei mit Einsatz von Tränengas zu verhindern versucht, dass sich die Demonstranten in den Seitenstraßen der Asadi-Allee neu formieren.

Der Demonstrant berichtet über große Sympathien und Unterstützung: „Die Leute, die in Autos vorüberfuhren, haben uns zugehupt, und die Menschen in den Bussen haben uns zugewunken.“ Ein Bassidsch, der nicht wie die anderen zugeschlagen habe, habe gefragt: „Warum bist Du hier? Du siehst doch gar nicht aus wie ein Randalierer.“

Ein anderer Augenzeuge berichtet von Schüssen. „Auf der Straße war viel Blut. Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass viele gestorben sind oder sterben werden. Wir haben schwer Verletzte gesehen, die ins Krankenhaus gebracht wurden.“ Das staatliche Fernsehen veröffentlicht am Sonntag die blutige Bilanz: 13 Menschen - andere Quellen berichten sogar von 19 Toten - starben demnach bei den Straßenschlachten, mehr als hundert wurden verletzt.

Eine junge Studentin sagt über das Vorgehen der Sicherheitskräfte: „Die stellen keine Fragen. Sie schlagen jeden und alles, was in Richtung Enkelab-Platz geht.“ Die Polizei habe Wasserwerfer mit kochend heißem Wasser eingesetzt.

Auch von Seiten der Demonstranten kam nach Angaben einiger Augenzeugen Gewalt: Sie hätten Bassidsch-Milizionäre von ihren Motorrädern gezerrt und geschlagen, Steine auf Polizisten geworfen und Mülleimer in Brand gesteckt. Rund um den Asadi-Platz seien Eisengitter entlang der Straßen niedergerissen worden, der Asphalt sei teilweise bedeckt mit Steinen. Demonstranten seien auf Polizeiposten und Busse losgegangen und hätten sie in Brand gesteckt.

Der Demonstrant von der Asadi-Allee hofft, dass das brutale Vorgehen der Staatsmacht letztendlich vielleicht ihr Gutes haben könnte: „Es könnte unserer Bewegung helfen, dass sie diese Rohheiten am helllichten Tag begehen, wenn alle es sehen können.“

Bei den bislang schwersten Unruhen seit der umstrittenen Präsidentenwahl im Iran sind mindestens zehn Menschen getötet worden. 100 weitere Menschen wurden bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften verletzt, wie das staatliche Fernsehen am Sonntag berichtete. Tausende Anhänger der Opposition setzten sich am Samstag offen über ein Demonstrationsverbot und die Aufforderungen des obersten geistlichen Führers Ayatollah Ali Chamenei hinweg und protestierten weiter gegen das offizielle Wahlergebnis.

Am Sonntagnachmittag bezogen erneut Polizisten und Angehörige der regierungstreuen Bassidsch-Miliz Stellungen auf den großen Straßen und Plätzen der iranischen Hauptstadt, um Demonstranten abzuschrecken. Ob nach der Gewalt vom Vortag auch am Sonntag wieder Regierungsgegner wagen würden, der Staatsmacht zu trotzen, war zunächst nicht feststellbar. Die iranische Führung hat die Berichterstattung unabhängiger Medien stark eingeschränkt.

Das iranische Staatsfernsehen bezeichnete die Demonstranten als „Terrorgruppen“ und „Randalierer“. Diese hätten auch zwei Tankstellen in Brand gesetzt und einen Militärposten angegriffen. Es ist das zweite Mal, dass staatliche iranische Medien von Toten bei den Protesten sprachen. Am vergangenen Montag hatten sie sieben Tote bei Zusammenstößen gemeldet. Wie Augenzeugen berichteten, ging die Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor, die „Tod der Diktatur“ und „Tod dem Diktator“ riefen.

Ein staatlicher Fernsehsender berichtete zudem von einem Selbstmordanschlag am Imam-Chomeini-Mausoleum, bei dem mindestens zwei Menschen getötet und acht verletzt worden seien. Der Schrein liegt rund 20 Kilometer südlich der Innenstadt.

Regierung droht Mussawi mit Festnahme

Laut einem Bericht des staatlichen Fernsehen wurden am Samstagabend die Tochter des früheren Präsidenten Haschemi Rafsandschani, Faeseh Haschemi, sowie vier weitere Familienmitglieder festgenommen. Sie hätten an verbotenen Demonstrationen teilgenommen, hieß es. Die Vier wurden laut einem Bericht des staatlichen Fernsehens vom Sonntagabend später wieder freigelassen, Faeseh Haschemi befand sich aber weiter in Haft.

Die Regierung drohte Oppositionsführer Mir Hossein Mussawi mit Verhaftung, sollten Demonstrationen stattfinden. Der Sekretär des Sicherheitsrats, Abbas Mohtadsch, erklärte, Mussawi werde „für die Folgen illegaler Versammlungen“ verantwortlich gemacht.

Mussawi denkt aber offenbar nicht daran aufzugeben und forderte erneut die Annullierung der Präsidentenwahl. Auf seiner Webseite wurde am Samstagabend ein entsprechender Brief an die obersten Wahlbehörden veröffentlicht.

Merkel verlangt Ende der Gewalt

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte die iranische Regierung unterdessen zur Neuauszählung der Stimmen auf. In einer am Sonntag in Berlin veröffentlichten Erklärung heißt es: „Deutschland steht auf Seiten der Menschen im Iran, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit ausüben wollen.“ Die Kanzlerin verlangte von Teheran, friedliche Demonstrationen zuzulassen und keine Gewalt gegen Demonstranten anzuwenden.

Die Kritik der USA am Vorgehen der iranischen Regierung wird unterdessen immer deutlicher. Präsident Barack Obama forderte die Führung des Landes auf, auf die Proteste der Opposition nicht länger mit „ungerechten Aktionen“ zu reagieren. „Wir rufen die iranische Regierung auf, alle gewaltsamen und ungerechten Aktionen gegen ihr eigenes Volk zu stoppen“, hieß es in der bislang deutlichsten Stellungnahme des Weißen Hauses.