Eine in Alexandria lebende Hamburger Gymnasiallehrerin berichtet, wie sie den Ausbruch der Revolution in der Stadt überlebte.

Hamburg/Alexandria. "Nein, ich gehe nicht!", sagt sie bestimmt. Jetzt will sie Ägypten erst recht nicht verlassen - während Abertausende gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak demonstrieren, während geflohene Schwerkriminelle die Straßen unsicher machen und Agenten des gefürchteten Geheimdienstes ihr Unwesen treiben.

Barbara Czeslog ist eine Hamburger Gymnasiallehrerin, die seit fast drei Jahren in Alexandria lebt, Ägyptens zweitgrößter Stadt, deren Metropolregion viereinhalb Millionen Menschen umfasst. Die Revolution erlebt sie also hautnah mit. Ihren richtigen Namen und ihr Bild möchte sie nicht in der Zeitung sehen, denn die Geheimpolizisten kennen keinerlei Skrupel - und die langen Tentakel des Dienstes, so weiß sie, reichen auch bis Hamburg.

"Im März 2009 wurde ich vom Auslandsschuldienst in Köln angerufen, ob ich Lust hätte, nach Alexandria zu gehen", erzählt sie. Sie beriet sich gründlich mit ihrem Ehemann, einem Archäologen und Anthropologen. "Wir haben lange überlegt, ob wir das Risiko eingehen wollen, denn die Stadt hatte einen speziellen Ruf. Doch dann haben wir gesagt, ,okay, das machen wir.'" Ihr Vertrag läuft zunächst bis 2012.

"Mein Mann mit seiner Erfahrung als Anthropologe hat mich sofort ins Viertel integriert", sagt Barbara Czeslog. Das hat ihr vermutlich das Leben gerettet, als die Unruhen am 28. Januar losgingen. "Als es anfing, richtig brenzlig zu werden, sagten mir mehrere Leute im Viertel: 'Kein Problem, wenn Plünderer kommen, sind wir sofort mit Knüppeln bei euch und erledigen die.' Wir trugen ihre Telefonnummern für den Notfall ständig bei uns."

Die Hamburgerin unterrichtet an einer Privatschule außerhalb von Alexandria; ihre Schüler sind ausschließlich ägyptische Kinder. Die Zustände in den staatlichen Schulen seien unvorstellbar, berichtet sie, es gebe oft 80 Kinder in Klassenräumen, die für maximal 25 Kinder ausgelegt seien, die Lehrer seien katastrophal unterbezahlt. Das gesamte Erziehungswesen scheine nur korrupt und in einer furchtbaren Verfassung zu sein. "Auch dies hat den Zorn der jungen Leute so angefacht. Die Mittelschicht und obere Mittelschicht, zumeist Akademiker, haben sich zusammengetan und Privatschulen initiiert." Die Schüler an ihrer Schule, die Deutsch lernen, seien zwischen neun und 16 Jahren alt. Unterrichtssprache ist Englisch; "aber im Deutschunterricht sprechen wir möglichst Deutsch".

Im November 2010 sei plötzlich etwas Merkwürdiges geschehen, sagt sie. "Früher hatte es unter Todesstrafe gestanden oder war zumindest mit hohen Haftstrafen bedroht, wenn jemand sagte, Mubarak muss weg. Plötzlich wurde in meinem Umkreis ganz offen genau das gefordert: Mubarak muss weg - wir brauchen einen Wechsel."

Der Ausbruch der Revolution am 25. Januar habe sich bereits "nach den verkrachten Wahlen" im November schleichend vorbereitet. "Am Abend des 25. gab es nicht nur in Kairo auf dem Tahrir-Platz, sondern auch schon in Alexandria große Demonstrationen. Ich habe mich gefreut, dass sich endlich etwas tat in Ägypten, aber hielt mich mit Kommentaren zurück - denn es kommt bei den Menschen hier nicht sehr gut an, wenn ihnen Europäer sagen, was Sache in Ägypten ist."

Am 28. begannen die Ferien, und Barbara Czeslog hatte eine Einladung von einer ihrer Schülerinnen, die unbedingt Balletttänzerin werden will, zu einem Vortanzen in einer Tanzschule in Alexandria. "Mobilfunk und Internet waren ab Mitternacht plötzlich abgestellt. Ich hatte keine Ahnung, was eigentlich los war, bin aber trotzdem in die Stadt zu der Tanzschule gefahren, einem ehemaligen, völlig heruntergekommenen königlichen Palast. Um 14.15 Uhr stürmte mein Mann herein und sagte, wir müssen sofort hier weg, es eilt."

Auf der Corniche, wegen der ständigen schweren Unfälle "Straße des Todes" genannt, seien bereits Tausende Menschen unterwegs gewesen. Die Stimmung war aufgeheizt. Der Gouverneurspalast in Alexandria, in dem sich nach Czeslogs Auskunft ein erst am 4. Januar eingeweihter, 400 Millionen Euro teurer Überwachungssaal befand, mit dem man die Route eines Autos präzise verfolgen konnte, wurde gestürmt und völlig niedergebrannt.

"Mein Fahrer, ein sehr patenter Mann, hat uns auf Schleichwegen in Sicherheit gebracht. Es war uns sofort klar: Jetzt geht es hier richtig zur Sache. In dieser Nacht wurde im Nachbarviertel heftig geschossen; am Morgen erfuhren wir, dass fünf Menschen tot waren - erschossen von der Geheimpolizei, wie die Nachbarn uns bestätigten."

Und die Nachbarn warnten die Hamburger eindringlich: Ihr dürft jetzt auf gar keinen Fall mehr vor die Tür gehen, die Schergen der Geheimpolizei sind überall unterwegs und machen Jagd auf Ausländer, ihr seid in großer Gefahr. "Dann kam obendrein die Nachricht, dass die Häftlinge aus den Gefängnissen befreit worden seien. Man vermutet hier, dass der Innenminister persönlich den Befehl dazu gegeben hat. Es gab zwei Kategorien: die politischen Gefangenen, die, wie wir hörten, sofort von ihren Familien versteckt wurden - und rund 6000 Kriminelle. Diese zogen durch die Straßen, plünderten und stachen willkürlich Leute ab. Das war wirklich entsetzlich."

Daraufhin organisierte sich im Viertel des Hamburger Ehepaars eine Bürgerwehr, sie errichtete überall Barrikaden aus Mülltonnen, umgestürzten Laternen und ähnlichem Material. "Die jungen Leute spielten eine Schlüsselrolle dabei - alle hatten Knüppel in den Händen und kontrollierten jeden, der in das Viertel kam. Alle 300 Meter war eine Kontrollstelle. Ich habe für unsere Türwächter am Haus gekocht und ihnen Getränke gebracht. Die waren toll - sie haben von zehn Uhr abends bis zum Morgengebet dort gesessen und auf uns aufgepasst", erzählt Barbara Czeslog. "Ich habe dann gedacht: Dieses Land ist so stark, die Menschen hier kriegen das schon hin. Eine ägyptische Freundin sagte mir: Es gibt keine Religionsunterschiede - ob Kopten oder Muslime - wir sind alle Ägypter, sonst gar nichts."

Derzeit sei die Lage relativ ruhig im Viertel. "Aber meine größte Sorge gilt der Geheimpolizei, die ist nach wie vor sehr aktiv. Sie haben allen Menschen, die nach Kairo hineinwollen, Fotoapparate und Computer abgenommen oder zumindest die Daten gelöscht. Der Geheimdienst will unbedingt verhindern, dass Informationen über den Widerstand nach Europa gelangen."