Regierungschef Schafik entschuldigt sich für Chaos, dementiert aber Mitschuld. Randalierer überfielen SOS-Kinderdörfer – sie suchten Lebensmittel.

Kairo/Hamburg. Der neue ägyptische Regierungschef Ahmed Schafik hat sich für die Gewalt gegen protestierende Regime-Gegner in Kairo entschuldigt. „Für Angriffe auf friedliche Demonstranten gibt es keine Ausreden, und deswegen entschuldige ich mich dafür“, sagte Schafik dem TV-Sender al-Hayat. Unterdessen bestritt die Regierung weiter, in die Angriffe von Anhängern des Präsidenten Husni Mubarak auf Regimegegner im Zentrum von Kairo verwickelt zu sein. Dabei hatte es in der Nacht zum Donnerstag Tote und Hunderte Verletzte gegeben .

Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien sind höchst besorgt über die Eskalation der Gewalt in Ägypten. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Nikolas Sarkozy, Premierminister David Cameron sowie die Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und José Luis Rodriguez Zapatero veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der sie das Recht auf Versammlungsfreiheit für alle Ägypter einforderten. Die Sicherheitskräfte müssten die Protestierenden schützen, verlangten sie. Angriffe auf Journalisten seien völlig inakzeptabel. „Wir verurteilen alle, die Gewalt ausüben oder dazu ermuntern. Dies wird nur die politische Krise in Ägypten verschlimmern. Nur ein zügiger und geordneter Übergang zu einer Regierung, die sich auf eine breite Basis stützt, wird es ermöglichen, die Herausforderungen, vor denen Ägypten heute steht, zu bewältigen“, erklärten die Regierungschefs. Der Prozess dazu müsse „jetzt“ beginnen.

Das ägyptische Staatsfernsehen meldete am Donnerstag, Vizepräsident Omar Suleiman habe einen Dialog mit der Opposition begonnen. Nach Angaben von Regierungsgegnern handelt es sich bei diesen Oppositionellen um Vertreter von sechs kleineren Parteien: al-Takaful, al-Dusturi, Jugend Ägyptens, Die Generation, Der Frieden, und ein Flügel der Al-Ghad-Partei, der sich schon vor längerer Zeit von Parteiführer Eiman Nur losgesagt hatte. Die meisten Oppositionellen, die sich mit den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz solidarisiert haben, hatten jedoch erklärt, sie wollten erst nach einem Rücktritt von Präsident Husni Mubarak mit Suleiman über demokratische Reformen sprechen.

Angeblich soll auch der neue Regierungschef Schafik Gespräche mit Anti-Mubarak-Demonstranten begonnen haben. Von Seiten der Regierung hieß es, er spreche mit Vertretern der Protestgruppen, die auf dem Tahrir-Platz versammelt seien. Einige Regimekritiker hatten am Mittwoch ihre Gesprächsbereitschaft bekundet. Nach den Ausschreitungen am Tahrir-Platz in der Nacht zogen sie dieses Angebot jedoch wieder zurück.

Nach den Straßenschlachten in Kairo sind die Streitkräfte am Donnerstagvormittag zwischen den Anhängern und Gegnern von Staatspräsident Mubarak in Stellung gegangen. Vier Panzer räumten eine Überführung am Tahrir-Platz, von der Mubarak-Anhänger Steine und Brandsätze auf Demonstranten geschleudert hatten. Soldaten bezogen Position zwischen den verfeindeten Lagern. Sie griffen aber zunächst nicht in das Geschehen ein und gaben lediglich Warnschüsse ab. Hunderte weitere Soldaten bewegten sich auf die Kampfzone am Nordrand des Platzes in der Nähe des Ägyptischen Museums zu.

Eine Gruppe von Randalierern hat in der Nacht zu Donnerstag zwei SOS-Kinderdörfer in Ägypten überfallen. Mehrere junge Männer sollen in die Dörfer in Kairo und Alexandria eingedrungen sein und versucht haben Essen oder Medikamente zu stehlen. Nach kurzem Gerangel wurden die Männer vertrieben, sagte ein Sprecher der Organisation in München. Dabei verletzte sich der Direktor des Kinderdorfs in Alexandria leicht, Kinder und Mütter blieben unverletzt.

Nach Aussagen der Hilfsorganisation ist die Lage um die Kinderdörfer herum angespannt. Banken, Geschäftshäuser und Villen würden geplündert und angezündet. Weil die Preise für Essen stark gestiegen seien, gebe es in vielen Läden keine Lebensmittel mehr. In Ägypten gibt es mehrere SOS-Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, darunter drei Kinderdörfer. Dort leben bis zu hundert Kinder.

In der ARD-Sendung „hart aber fair“ mit Moderator Frank Plasberg berichtete ein Lehrer an der deutschen Schule in Alexandria von den katastrophalen Zuständen und der mutmaßlichen Fehleinschätzung des Auswärtigen Amtes in Berlin. So habe man keine Reisewarnung herausgegeben und die Deutschen nur beruhigt, als bereits Plünderer durch die Straßen in Alexandria liefen. Der Lehrer, Günter Förschner, konnte sich mit seiner Familie nach Deutschland retten. Er machte der Deutschen Botschaft und dem Außenministerium von Guido Westerwelle schwere Vorwürfe. Sie würden die Lage in Ägypten falsch einschätzen und nicht die richtigen Schlüsse aus der eskalierten Situation ziehen. Andere Länder hätten schneller reagiert und ihre Landsleute aus Ägypten evakuiert.

Die Vereinten Nationen kündigten derweil an, rund 350 ihrer derzeit in Ägypten befindlichen Mitarbeiter auf der Mittelmeerinsel Zypern oder in den Vereinigen Arabischen Emiraten in Sicherheit zu bringen. Ein Sprecher der Uno-Friedensmission in Zypern sagte, die Uno-Mitarbeiter könnten sich zwischen Zypern und Dubai entscheiden. (abendblatt.de/dpa/dapd)