Der Ton war rau: Die alte Bedrohung durch Raketen sorgt für ebenso hitzige Debatten wie die neue Bedrohung durch Cyber-Attacken.

München. Hitzige Debatten auf der Sicherheitskonferenz in München: Der Krieg der Vergangenheit und der Krieg der Zukunft prallen aufeinander. Die alte Bedrohung durch Raketen sorgt für ebenso intensive Diskussionen wie die neue Bedrohung durch Cyber-Attacken. Kanzlerin Angela Merkel ringt noch um passende Worte, als sie die ungewohnten Gefahren eines kostspieligen Wettrüstens gegen die Angriffe aus dem Internet beschwört. Der russische Außenminister Sergej Lawrow dagegen greift tief in die Kiste mit den alten Drohungen aus der Zeit des Kalten Kriegs, als er die USA warnt, zu rasch und ohne Abstimmung mit Russland mit ihren Plänen für ein Raketenschild vorzupreschen.

Es waren überraschend harsche Töne nach dem harmonischen Nato-Gipfel in Lissabon, wo Russland versprochen hatte, eine Zusammenarbeit bei dem einst verhassten US-Raketenschild zu prüfen. Doch sollten die USA das Projekt weiter so rasch vorantreiben, werde es bald die Effektivität der russischen Atomwaffen einschränken, klagte Lawrow in München. Seine Warnung war an Klarheit nicht zu überbieten: „Wenn unsere Bedenken nicht ernstgenommen werden, werden wir das entstehende Ungleichgewicht ausgleichen müssen“, drohte er. Dies werde die Chancen einer Zusammenarbeit nicht nur bei der Raketenabwehr, sondern auch bei anderen Sicherheitsfragen deutlich schmälern.

Auch US-Außenministerin Hillary Clinton nahm kein Blatt vor den Mund. „Wir werden keine Beschränkungen dulden und alles tun, um die USA und ihre Partner zu schützen“, betonte sie im Luxushotel „Bayerischer Hof“, dem traditionellen Tagungsort der Sicherheitskonferenz. Harte Worte, auch wenn Clinton einige Sätze später einlenkte. Sie sei zuversichtlich, dass die Einbindung Russlands in das System gelingen werde, erklärte sie versöhnlich. Wenig später setzte sie mit Lawrow das neue START-Abkommen in Kraft, mit dem die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe in den kommenden Jahren auf 1550 verringert werden soll. Die USA und Russland verfügen gemeinsam über 95 Prozent des weltweiten Atomarsenals.

Merkel warnte unterdessen vor einer Verlagerung des Wettrüstens von den militärischen Waffenarsenalen ins Internet. „Wir werden viel Geld damit vergeuden, ohne dass man eine Armee sieht, wie es im Kalten Krieg war“, warb sie für ein rasches internationales Abkommen gegen Cyber-Attacken. Die G8 solle sich des Themas annehmen, forderte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. „Pro Tag verzeichnen wir vier, fünf Angriffe auf das Netz des Bundesregierung“, sagte er. Alle zwei Sekunden gebe es im Internet Angriffe, die teilweise kriminellen, teilweise aber auch staatlichen Hintergrund hätten. Auch der britische Außenminister William Hague sprach von systematischen Angriffen auf das britische Regierungsnetz und britische Rüstungsfirmen.

Deutsche-Telekom-Chef Rene Obermann warnte, Cyber-Attacken würden künftig die dominierende Gefahr in der Sicherheitspolitik sein. „Allein im Dezember verzeichnete die Deutsche Telekom 200 000 Angriffe auf ihr Netz“, sagte er. Professionelle Virenjäger hätten mittlerweile eine Liste von mehr als drei Millionen verschiedenen Viren. Unklar ist dabei, wie das Internet, Energie-Netze, aber auch etwa Kontrollsysteme von Industrieanlagen geschützt werden können. Die Jagd auf die Angreifer wird dadurch erschwert, dass sie oft erst nach Wochen identifiziert werden können. Umstritten ist auch, ob Polizei oder Militär für die Abwehr von Cyber-Attacken zuständig sind.

De Maiziere forderte einen Bündnis von Politik und Firmen, um sich gegen Gefahren zu wappnen. Gelinge es Cyber-Angreifern, den Zahlungsverkehr auch nur für einen Tag lahmzulegen, hätten alle darunter zu leiden, warnte er. Etwa 80 Prozent der Informations-, Kommunikations- und Energienetze in den Industriestaaten sind in privater Hand. Obermann mahnte die Unternehmen, Ersatznetze aufzubauen, um die Verfügbarkeit strategisch wichtiger Verbindungsstränge zu garantieren.

Die US-Börse Nasdaq räumte am Wochenende passend zum Thema ein, Hacker seien in ihre Computer eingedrungen. Den Kunden sei aber kein Schaden entstanden. Die Ermittler vermuten einem Bericht des „Wall Street Journal“ zufolge, dass die Hacker es auf Handelsgeheimnisse abgesehen hatten oder den Handel durcheinander bringen wollen. Für Aufsehen hatte vor Monaten bereits die Cyber-Attacke mit dem Virus „Stuxnet“ auf den Iran gesorgt, die Medienberichten zufolge dem iranischen Atomprogramm galt. 2007 wurde Estland mit einer Cyber-Attacke angegriffen, die die Banken des Landes schwer traf und für die Russland verantwortlich gemacht wurde. (Reuters/abendblatt.de)

Lesen Sie auch: Die DDR als Vorbild für Revolutionen

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz ist Ägypten das große Thema. Die USA und Europa erklärten jetzt, sie nähmen Abstand von einer schnellen Ablösung des ägyptischen Machthabers Husni Mubarak. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel bringt ihre Revolutionserfahrungen aus der DDR mit ins Spiel.

US-Außenministerin Hillary Clinton und Bundeskanzlerin Angela Merkel warnten am Sonnabend bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor einem überstürzten Vorgehen. Die Vorbereitung einer Wahl und die Entwicklung neuer Strukturen brauche Zeit, sagte Merkel und verwies dabei auf die Erfahrungen mit dem politischen Umbruch zum Ende der DDR. Sie könne gut nachvollziehen, dass die Menschen in Ägypten nun den raschen Umbruch wollen. „Wir haben damals keinen Tag warten wollen, man wollte die D-Mark sofort haben“, erinnert sie sich.

Sinnvoll sei es aber, den Übergang gut vorzubereiten. „Wandel muss gestaltet werden.“ Am Ende sei auch sie froh gewesen, dass die deutsche Einheit vor dem offiziellen Vollzug „gut vorbereitet“ worden sei. Zwar sei die Situation nicht vergleichbar, aber dennoch könne sie nur sagen: „Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch.“

Der aus sehr persönlichen Überlegungen entstandene Rückschluss der Kanzlerin deckt sich mit den Überlegungen der US-Diplomatie. Clinton etwa sagt, der Übergang zur Demokratie werde „nur funktionieren, wenn er gut geplant ist, alle mit einschließt und transparent ist“. Auch würden Wahlen alleine für einen dauerhaften Wandel nicht ausreichen.

Doch Clinton wie auch anderen Teilnehmern der Sicherheitskonferenz ist anzumerken, dass sie sich bewusst sind, dass sie nur unverbindlich Ratschläge geben können und die Frage, wie es in Ägypten weiter geht, alleine in den Händen der Ägypter liegt. „Es ist jetzt an den Ägyptern selbst. Wir können unterstützende Angebote machen, letztendlich stehen wir außerhalb dieses Prozesses und schauen darauf“, sagte Clinton.

Nachdem der Westen lange unter dem Verdacht stand, den in Ägypten inzwischen verhassten Husni Mubarak zu stützen, steckt in diesen Aussagen auch die Einsicht, politische Prozesse nicht von außen steuern zu können. Merkel spricht offen an, dass die Diplomatie in der Vergangenheit womöglich Defizite hatte. Bei der Zusammenarbeit auch mit autoritären Regierungen dürften keine Kompromisse bei der Einhaltung der Menschenrechte gemacht werden. „Haben wir das immer getan?“, fragt sie rhetorisch in die Runde.

Als Konsequenz aus bisherigen Fehlern fordert Merkel eine „wertegebundene“ Außenpolitik: „Wir können bei der Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen keinen Kompromiss machen." Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon spricht von Defiziten, weil in der Vergangenheit die präventive Diplomatie „eher vernachlässigt“ worden sei.

Doch bevor sich Staaten wie die USA darüber Gedanken machen können, wie sie sich in Zukunft stärker auf die Prävention von Konflikten konzentrieren, müssen sie noch ihre die auf der Vergangenheit geerbten Probleme lösen. Eines der größten Probleme: Wohin mit Husni Mubarak?

In München vermieden es am Freitag und Sonnabend fast alle Redner, den Namen des Staatschefs nur in den Mund zu nehmen. Doch nach einem Bericht der „New York Times“ könnte Deutschland bald ganz konkret mit dem Problemfall konfrontiert werden: Demnach wird erwogen, dem 82-Jährigen vorzuschlagen, zu einer „verlängerten“ medizinischen Untersuchung nach Deutschland zu reisen, ihn also mehr oder minder elegant abzuschieben.

Auch dieses Problem beim Umgang mit Mubarak dürfte Merkel bekannt vorkommen – der langjährige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker war nach einer Odyssee über Moskau 1994 weit seiner Heimat in Chile gestorben.