Es geht um Öl, Macht, Geopolitik und Clanstrukturen. In keiner anderen Region treffen Weltpolitik und archaische Traditionen so unvermittelt aufeinander wie zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer.

Hamburg. Die kaukasische Landschaft ist überwältigend: schneebedeckte Gipfel, schroffe Felsen, grüne Täler, frei laufende Pferde und furchterregende Hirtenhunde. Die Gebirgsregion zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer mutet an wie eine Schweiz ohne Autobahnen und Sessellifte, wild und unberührt.

Und während uns Mitteleuropäern schon die Schweiz als viersprachiger Vielvölkerstaat gilt, kann die Kaukasusregion wohl jede andere Gegend der Erde in den Schatten stellen, was die Vielfalt an Ethnien und Sprachen betrifft. Schon Plinius berichtete, die römischen Händler in Dioskurias, dem heutigen Suchumi in Abchasien, hätten 130 Dolmetscher gebraucht. Arabische Geografen nannten das Gebirge den "Berg der Sprachen". Heute wird von etwa 40 bis 50 Sprachen ausgegangen, die die etwa 22 Millionen Bewohner der Kaukasusregion sprechen. Allerdings mit vielen Dialekten, die selbst den gleichen Muttersprachlern im Nachbartal schon nicht mehr geläufig sind.

Während der vielen Wanderbewegungen der Menschheitsgeschichte sind immer wieder Völkerschaften oder Teile von ihnen hier hängen geblieben, haben sich andere aus den Ebenen in die besser zu verteidigenden Gebirgsschluchten zurückgezogen. Schon immer galt der Kaukasus als strategisch wichtige Region zwischen dem Eurasischen Steppengürtel und dem Vorderen Orient. Schon Alexander der Große tauchte mit seinen Soldaten hier auf. Später Römer, Perser, Byzantiner, Araber, Mongolen und Türken. Im 18. Jahrhundert wird die Gegend der Brennpunkt russisch-türkisch-persischer Gegensätze. Alle regierten mit Gewalt und nach dem Prinzip "teile und herrsche". Im 19. Jahrhundert geriet das gesamte Gebiet unter russische Herrschaft. Besonders in der Sowjet-Ära wurden Grenzen willkürlich verändert, ganze Völker während des Zweiten Weltkrieges nach Zentralasien und Sibirien deportiert, weil man sie der Kollaboration mit Deutschland bezichtigte. Menschen aus anderen Gegenden des Riesenreiches wurden angesiedelt. War es früher die reine geostrategische Lage, die die Großmächte auf den Plan rief, geht es heute auch um Öl aus dem Kaspischen Becken und dessen Transport auf die Weltmärkte. Dafür interessiert sich neben Russland auch der Westen, allen voran die USA. Feindschaften untereinander wurden und werden gepflegt. Vielfach gilt noch die Blutrache, der Kult um den starken Mann sowieso. Zu dem traditionellen Gewerbe der Entführung sind zuletzt noch Waffenhandel und Drogenschmuggel gekommen.

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Es sind nur vier selbstständige Staaten - Russland, Aserbaidschan, Armenien und Georgien -, die sich heute Kaukasien teilen. Jeder ist aber mit autonomen Gebieten und potenziellen Gefahrenherden versehen, die sich wie ein "kaukasischer Krisenkreis" um die Region legen.

Armenien Noch vor dem Zusammenbruch des Kommunismus verschärften sich die Spannungen zwischen den damaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach. Die armenische Bevölkerungsmehrheit fühlte sich von Baku diskriminiert und strebte den Anschluss an das Mutterland an. 1988 kam es zu ersten Schießereien und Massendemonstrationen mit zahlreichen Todesopfern. 1992 bis 1994 wurde Krieg um das Hochland geführt, in dessen Folge fast alle Aserbaidschaner aus dem Gebiet vertrieben wurden. Der rechtliche Status des Gebietes ist weiter ungeklärt. Spannungen bestehen auch zwischen Armenien und der Türkei. Dafür pflegt Eriwan sowohl zu Russland als auch zum Westen gute Beziehungen und ist an eine Annäherung an Nato und EU interessiert. Armenien war im Jahr 301 das erste Land, das den christlichen Glauben zur Staatsreligion erhob.

Aserbaidschan Die mehrheitlich muslimische Republik mit acht Millionen Einwohnern am Kaspischen Meer lebt hauptsächlich von Öl und Gas. Vor dem Ersten Weltkrieg waren Baku und Umgebung das wichtigste Fördergebiet weltweit. Auch heute ist es vor allem wieder der britische BP-Konzern, der sich mit Geld und Technik engagiert und die Förderanlagen auf Weltniveau gebracht hat. Früher liefen alle Pipelines von hier über russisches Gebiet. Seit drei Jahren gibt es die Leitung via Georgien in die türkische Schwarzmeerstadt Ceyhan.

Neben den Streitigkeiten mit Armenien hat Aserbaidschan noch das Problem seiner Exklave Nachitschewan. Sie ist durch armenisches Territorium vom Mutterland getrennt. 1990 versuchten Nationalisten erfolglos, eine Wiedervereinigung mit den auf iranischer Seite lebenden Aserbaidschanern. Aserbeidschan ist Mitglied der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS), in der die Nachfolgestaaten der Sowjetunion unter Moskaus Führung kooperieren, ist aber auch Mitglied im Europarat und vor allem geschäftlich an den Westen gebunden.

Georgien 84 Prozent der viereinhalb Millionen Georgier gehören der georgisch-orthodoxen Kirche an. Es gibt aber zahlreiche Minderheiten im Land. 1922 schlug die Sowjetunion Südossetien Georgien zu. Daraus wurde nie eine glückliche Verbindung. Da sich die Osseten im 18. Jahrhundert freiwillig dem Zarenreich angeschlossen hatten und auch immer moskautreu blieben, wurden sie von ihren kaukasischen Nachbarn meist als "Russenknechte" beschimpft - und auch so behandelt. Nach einem bewaffneten Konflikt mit Georgien sprachen sich die Südosseten Anfang 1992 in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für ihre Unabhängigkeit und die Vereinigung mit Nordossetien aus. Eine Friedenstruppe aus Soldaten der drei Konfliktparteien wurde installiert. Die Ruhe blieb jedoch trügerisch. Am Freitag entbrannte der militärische Kampf zwischen Georgien und Russland um die Vormacht in der Provinz.

Auch die Region Abchasien an der Schwarzmeerküste erklärte 1992 einseitig ihre Unabhängigkeit von Georgien. Auch die Abchasen werden von Moskau unterstützt. Russland misstraut den Annäherungsbestrebungen Georgiens an den Westen. Seit 2004 besteht der "Individual Partnership Action Plan" mit der Nato, der Georgien an das Bündnis heranführen soll, aber keinerlei Verpflichtungen zum Eingreifen beinhaltet.

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Der Nordkaukasus gehört vollständig zu Russland. Allerdings ziehen sich auch hier die Krisenherde wie an einer Perlenschnur von Ost nach West.

Dagestan Die zwei Millionen vorwiegend islamischen Einwohner gehören etwa 100 verschiedenen Ethnien an. Sie bilden das bunteste Völkergemisch im Nordkaukasus. Die größte russische Kaukasusrepublik war in den Tschetschenien-Kriegen immer wieder ein Nebenschauplatz. Dagestan wird häufig von kleineren Anschlägen auf Polizisten und Soldaten erschüttert. Hauptkonflikt sind hier vor allem Streitigkeiten zwischen Rückkehrern, die 1942/43 nach Zentralasien deportiert wurden, und den heutigen Einwohnern.

Tschetschenien Die Unabhängigkeitsbestrebungen der eine Million muslimischen Tschetschenen lösten in den Neunzigerjahren zwei Kriege aus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte sich die Kaukasusregion 1991 einseitig von Moskau losgesagt und betrachtet sich seither als unabhängig. Zwar war der Krieg nach wenigen Monaten beendet - der Konflikt dauert seither jedoch an und hat auch außerhalb der Grenzen Tschetscheniens zahlreiche Menschenleben gekostet. Zeitweise galt Tschetschenien auch als Ausbildungsort internationaler Terroristen. In der Hauptstadt Grosny stand einst die drittgrößte Raffinerie der Sowjetunion, spezialisiert auf Flugbenzin. Außerdem gibt es Ölvorkommen, wichtige Pipelines und Eisenbahnlinien.

Inguschetien In der ärmsten russischen Republik lebt etwa eine halbe Million Einwohner, die früher zusammen mit den Tschetschenen in einer Republik vereinigt war. Inguschetien wollte sich aber nicht von Russland lossagen und trennte sich stattdessen von Tschetschenien. Während der Tschetschenien-Kriege nahm die Republik Zehntausende Flüchtlinge auf, wofür sie lange vom Terror verschont blieb. Bis zum Juni 2004 als ein mehrere Hundert Mann starkes Kommando mehrere Ortschaften überfiel und 90 Menschen tötete. Kriminalität und Terror wachsen. Mit Nordossetien schwelt der Streit um den einst von Inguschen besiedelten Rayon Prigorodnji. Er wurde 1944 Nordossetien zugeschlagen. Ein Rückholversuch scheiterte 1992. Mehr als 500 Tote und 30 000 Vertriebene waren die Folge.

Nordossetien Moskau hat hier seine wichtigste Militärbasis im Kaukasus. Der Name der Hauptstadt Wladikawkas bedeutet "Beherrscherin des Kaukasus". Wohl auch wegen der Moskau-Treue der Osseten haben tschetschenische Terroristen die Schule Nr. 1 in Beslan im September 2004 als Schauplatz für eine spektakuläre Geiselnahme ausgewählt. Ein tschetschenisches Kommando überfiel die Grundschule und hielt 1200 Menschen mehrere Tage als Geiseln. Beim Befreiungsversuch russischer Sicherheitskräfte fanden mindestens 331 Menschen den Tod, mehr als die Hälfte davon waren Kinder.