Saudi-Arabien: Sein Herrschaftssystem war mittelalterlich, seine Verschwendungssucht beispiellos. So schuf König Fahd auch einen Nährboden für den internationalen Terrorismus.

Hamburg. Die Welt landet immer abgeschlagen auf Platz zwei. An der Spitze der Nachrichten in Saudi-Arabien steht immer der "Khadim al haramain al scharifain", der "Wächter der Heiligen Stätten". Da erfährt der interessierte Saudi traditionell Belanglosigkeiten aus dem Arbeitsleben seines Staatschefs. Meist stimmt davon kein Wort. Zuletzt jedenfalls. Der todkranke König Fahd Ibn Abd al-Asis Al-Saud ließ sich seit Jahren kaum noch sehen. Er war viel zu hinfällig, um das Bett zu verlassen. Stets aber folgten erst im Anschluß an diese mediale Ehrerbietung Berichte aus dem Ausland. Ungewöhlich knapp war allerdings gestern die Topnachricht im Staatsrundfunk: "Der Wächter der Heiligen Stätten König Fahd Ibn Abd al-Asis Al-Saud ist gestorben. Der königliche Hof betrauert das mit tiefem Schmerz."

Bei der Todesursache mußte eine global bewährte Floskel herhalten: "Nach langer Krankheit." Fahds Gebrechen waren: Diabetes, Arthrose, ein Gallenblasenleiden, mehrere Lungenentzündungen, Demenz, Herzschwäche, ein Gehirnschlag, ein Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung. Im Königspalast in Riad und in seiner Krankensuite hatte bis zuletzt Jawhara al-Ibrahim, Fahds vierte Frau und Lieblingsgattin, gewacht. Sie beriet ihn auch in politischen Fragen. Wer ein Anliegen an den König hatte, kam an Jawhara nicht vorbei.

Fahd, "der Gepard", wurde 83 Jahre alt. Er zählte zu den dienstältesten Staatsmännern der Welt. Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte absolvierte er, bereits wachsbleich und aufgedunsen, im März beim Besuch von Gerhard Schröder. Fahds Regierungserfahrung begann vor 50 Jahren; als Bildungsminister vertrat er Saudi-Arabien bei der Krönung der britischen Königin Elizabeth II. Er ist der vierte von insgesamt 45 Söhnen des Staatsgründers Abdulasis Ibn Saud, die bereits König waren. Von den Töchtern redet hier niemand. Insgesamt sind es 7000 Nachkommen, die Ibn Saud als Söhne, Enkel, Urenkel hinterließ.

Ein Prinzenregime, das zutiefst korrupt und untereinander zum Teil in herzlicher Feindschaft zugetan ist. Doch der König mit Verteidigungsminister Prinz Sultan (80), Innenminister Prinz Naif (72) und Prinz Salman (69), Gouverneur der Fünf-Millionen-Metropole Riad, und drei weitere Brüder hielten stets zusammen. Sie waren die "Sudeiri-Sieben", Söhne derselben Mutter, Hassa Bint Sudeiri, der Lieblingsfrau des Stammvaters.

Wie Ibn Saud, der 1932 auf der arabischen Halbinsel das Königreich ausgerufen hatte, beherrschte auch Fahd, seit 1982 auf dem Thron, die wichtigste Pose saudischer Machthaber: den Spagat. Mit beiden Beinen fest in zwei Welten. Nirgendwo prallen Mittelalter und Neuzeit so aufeinander: Saudi-Arabien, vor fast 1500 Jahren Wiege des Islam, Heimat der heiligsten Stätten des Islam, Heimat der verschleierten Frauen wie der Playboy-Prinzen. Und die "Tankstelle der Welt", die mit einem Viertel aller Vorkommen über die weltweit größten Erdölreserven verfügt.

Jahrzehntelang funktionierte das Prinzip Saud durch ein enges personelles Geflecht. So kontrolliert die Prinzengarde alle Lebensbereiche: Politik, Presse, Unternehmen und Moscheen. Seit Fahd Mitte der 80er Jahre den Titel des "Wächters der Heiligen Stätten" (Mekka und Medina) annahm, konnte ihm auch der strenge Klerus kaum gefährlich werden. Alle Fäden liefen beim König zusammen. Sollte er fallen, kippen - möglicherweise - alle Privilegien der Günstlinge. Das sichert Loyalität und funktioniert gleichzeitig als eine Art Lebensversicherung des Herrscherhauses. Auch in schwierigen Zeiten.

Die Welt nahm davon kaum Notiz. Bis auf die Extravaganzen der Royals. So pflegte der zwölffache Vater Fahd, als es ihm die Gesundheit noch erlaubte, regelmäßig im Sommer in seine Villa nach Marbella überzusiedeln. 400 Verwandte, 1500 Diener und 500 Limousinen nahm er dabei mit. Und als Trinkgeld verteilte der greise Herrscher, mit geschätzt 30 Milliarden Dollar Privatvermögen reichster Mann der Welt, schon mal goldene Rolex-Uhren.

Für die Politik zählte nur eines: Öl. Seit Ende des Öl-Embargos von 1974 galt eine Arbeitsteilung: Die USA sorgten für die Sicherheit der Monarchie und verkniffen sich jede Kritik an Fahds Regime oder an saudischen Gepflogenheiten wie Handabhacken und öffentliche Hinrichtungen. Die Saudis revanchierten sich bei den USA mit satten Rüstungsaufträgen. Zudem erlaubte Fahd den US-Truppen im Golfkrieg 1991, von seinem Königreich in das von irakischen Truppen besetzte Kuwait einzumarschieren, um das Emirat zu befreien.

Zum ersten Mal in der Geschichte Saudi-Arabiens waren ausländische Truppen - zigtausend "Ungläubige" - im Ursprungsland des Islam stationiert. Eine offene Provokation. Zunächst zogen die Frommen hinter vorgehaltener Hand über Fahd als "Lakaien des Westens" her. Jahre später lüftete sich der Schleier, den die Herrscherriege über das Land gelegt hatte.

Darunter kamen Tod und Terror zum Vorschein. Osama bin Laden und Hunderte seiner Al-Qaida-Mitglieder stammen aus Saudi-Arabien, 15 der 19 Flugzeugattentäter vom 11. September 2001 waren Saudis. Hohe Summen sollen aus dem Staatsetat in die Kassen der radikalen Taliban in Afghanistan geflossen sein. Islamisten überzogen zunehmend die eigene Heimat mit Terror in Serie. Die verknöcherten Strukturen in Saudi-Arabien waren ein fruchtbarer Nährboden für die religiös Verblendeten. Auch als die Terrorverstrickungen längst bewiesen waren, hielt sich das Regime in Riad an die Devise: abstreiten und unterdrücken.

700 Terrorverdächtige wurden allein im vergangenen Monat verhaftet. Doch in der Bevölkerung brodelt die Wut über die Royals und deren Verschwendungssucht. Zwar ist die Gesundheitsversorgung für die 22 Millionen Einwohner noch immer kostenfrei. Doch wühlen inzwischen immer mehr verarmte Gläubige in den Slums am Rande der Großstädte in den Mülltonnen der Reichen. Währenddessen fließen mindestens 6,5 Milliarden Dollar jährlich in die Privatschatullen der Prinzen.

So wächst die Kluft zwischen dem Königshaus und seinen Untertanen. Immer mehr Saudis äußern Sympathie für bin Laden, in dem sie eine Art Robin Hood sehen. Kronprinz Abdullah, der die Amtsgeschäfte seit Fahds Schlaganfall 1995 führt, fällt für die Islamisten dagegen ins gleiche verhaßte Raster. Die Kampfansage der Radikalen gilt auch ihm.

Aber davon erfährt der interessierte Saudi kein Wort. Der König ist tot, es lebe der König.