LIVE 8: Mit dem mächtigsten Konzert aller Zeiten in Berlin und an neun weiteren Orten machten Musiker auf die Probleme eines Kontinents aufmerksam.

Berlin/London. "Es ist kein Rockkonzert. Es ist eine Demonstration", rief Campino. Und die rund 200 000 Menschen jubelten. Zum Auftakt des Berliner Live-8-Konzerts am Sonnabend machte der Sänger der Toten Hosen klar, um was es eigentlich ging: Den Mächtigen der Welt kurz vor ihrem G-8-Gipfel in Schottland zu zeigen, daß Millionen Menschen dafür eintreten, Afrika zu helfen, die Armut zu bekämpfen.

Berlin war Teil des größten Konzert-Events, das es jemals gab. Insgesamt kamen zu den zehn Live-8-Konzerten auf vier Kontinenten zwei Millionen Menschen, um Rockstars wie U2, Bon Jovi, R.E.M., Paul Mc Cartney, Pet Shop Boys, Destiny's Child, Elton John oder die extra für dieses Konzert wieder vereinigte Gruppe Pink Floyd zu sehen. Fünf Milliarden quer über den Globus hätten das Ereignis über Fernsehen, Internet und Radio mitbekommen, sagte Initiator Bob Geldof.

In allen Städten - von Tokio über Moskau, London, Rom, Paris, Berlin bis Philadelphia und Barrie in Kanada mußten die Fans keinen Eintritt zahlen - anders als vor 20 Jahren, als Geldof mit seinem legendären Live-Aid-Konzert insgesamt über 250 Millionen Dollar für Afrika einnahm. Dieses Mal ging es Geldof und den mehr als 100 Künstlern nicht um eine Spendenaktion, sondern um eine politische Kampagne.

Den Staats- und Regierungschefs der sieben reichsten Industrienationen und Rußlands, die vom 6. bis 8. Juli in dem Hotel Gleneagles nahe Edinburgh zu ihrem Gipfel zusammenkommen, sollte mitgeteilt werden: Streicht den afrikanischen Ländern ihre Schulden, ermöglicht ihnen einen fairen Handel, verdoppelt die Entwicklungshilfe. Armut müsse Geschichte werden.

Der politische Aspekt stand natürlich auch in Berlin im Vordergrund - was fast jeder Künstler betonte. Trotzdem wurde das Konzert auch eine riesige Party. Dichtgedrängt standen die Menschen von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor, in einer Schlange von knapp einem Kilometer. Fast zehn Stunden lang, und damit vier Stunden länger als ursprünglich geplant, konnten sie die insgesamt 21 Stars von heute und aus der Vergangenheit im 30-Minuten-Takt feiern.

Für ausgelassene Stimmung sorgten nicht nur deutsche Bands wie Wir sind Helden, Juli, Silbermond oder BAP, sondern auch internationale Koryphäen wie A-ha, Roxy Music und Chris de Burgh. Höhepunkte waren aber zweifelsohne die Auftritte der amerikanischen Punk-Band Green Day und von Beach Boy Brian Wilson. Herbert Grönemeyer beendete das Konzert.

Den Auftakt des Reigens bildete das Live-8-Konzert in Tokio. Mit etwa 10 000 Menschen, die der isländischen Sängerin Björk zujubelten, war die Halle allerdings nur zur Hälfte gefüllt. In Johannesburg wurde Nelson Mandela minutenlang von mehr als 8000 Zuschauern gefeiert. Kommende Generationen würden die Politiker nach ihren Entscheidungen beurteilen, die sie in dieser Woche träfen, sagte Mandela mit Blick auf den G-8-Gipfel.

Die meisten Menschen strömten in der amerikanischen Großstadt Philadelphia zusammen. Mehrere hunderttausend Besucher feierten dort unter anderem Bon Jovi, Stevie Wonder und Destiny's Child. Der amerikanische Musiker und Schauspieler Will Smith ließ die Fans alle drei Sekunden mit den Fingern schnippen, um zu verdeutlichen, daß in jedem dieser Momente ein Kind in Afrika stirbt. Im Londoner Hyde Park verfolgten 200 000 begeisterte Fans die Auftritte. "Wir wollen kein Mitleid, wir wollen Gerechtigkeit", sagte U2-Sänger Bono. "Wir können nicht alle Probleme lösen, aber wenn wir sie lösen können, müssen wir das tun." Unter den Zuhörern in London war auch Uno-Generalsekretär Kofi Annan. Sein Lob: "Das sind wirklich die Vereinten Nationen."

Der größte Moment des Live-8-Konzerts im Hyde Park kam aber nicht, als Paul McCartney, Robbie Williams oder Mariah Carey auf der Bühne standen. Sondern als Birhan Woldu auftrat, eine 24 Jahre alte Studentin, die kein Wort Englisch spricht. Augenblicke zuvor hatte Konzertinitiator Bob Geldof eine Filmsequenz eingespielt, die vor 20 Jahren um die Welt gegangen war - ein ausgemergeltes, äthiopisches Kind im Todeskampf.

"Seht ihr diese schöne Frau?", fragte Geldof die Menge. "Vor 20 Jahren hatte sie noch zehn Minuten zu leben. Aber weil wir damals hier in dieser Stadt und in Philadelphia ein Konzert veranstaltet haben, hat sie letzte Woche ihr Landwirtschaftsexamen gemacht. Heute abend ist sie hier, das kleine Mädchen Birhan. Laßt euch nicht erzählen, daß das, was wir hier machen, keinen Sinn hat!"

Als Geldof das sagte, waren alle Zweifel an der Neuauflage des Live-Aid-Konzerts von 1985 wie weggeblasen. Dann holte der Musiker die junge Frau auf die Bühne. Zusammen mit Madonna sang sie den Hit "Like a prayer".

Die Konzerte waren nur ein erstes Signal an den G-8-Gipfel. Gestern setzte sich auf Geldofs Initiative europaweit eine Karawane in Bewegung.

In Berlin, Rom, Paris und vielen anderen Städten startete der "Lange Marsch der Gerechtigkeit". Am Mittwoch, zum Auftakt des Gipfels, soll dann das Ziel Edinburgh erreicht sein. Rund eine Million Menschen werden erwartet. Damit es wirklich so viele werden, stellten Künstler wie die Fantastischen Vier in Berlin einen Bus zur Verfügung, der die Menschen kostenlos nach Schottland bringt.