Vordergründig geht es um die Wiedereinsetzung entlassener Juristen - tatsächlich aber um Zardaris Sturz.

Hamburg/Islamabad. "Dies ist eine Flut von Menschen. Diese Flut wird alle Barrieren durchbrechen." Und: "Der Wind des Wechsels weht; niemand kann ihn aufhalten. Wer es versucht, wird vernichtet." Jene Fluten und Winde, die Pakistans schillernder Oppositionsführer Nawaz Sharif gestern vor Anhängern so bildhaft beschrieb, sollen die "obsolete" Regierung von Präsident Asif Ali Zardari aus dem Amt treiben.

Und Zardari, Witwer der 2007 ermordeten Spitzenpolitikerin Benazir Bhutto, nimmt die Drohungen seines Rivalen sehr ernst und setzte die Armee in Alarmbereitschaft. Nach Augenzeugenberichten umstellten Polizeieinheiten die Villa von Sharif im ostpakistanischen Lahore. Ein Polizeisprecher teilte mit, Sharif habe drei Tage Hausarrest - damit solle verhindert werden, dass sich der frühere Premierminister an die Spitze eines Protest-Sternmarschs von Anwälten und Oppositionsgruppen auf die Hauptstadt Islamabad setzen kann. In Anspielung auf den chinesischen Heldenmythos um Mao Tse-tungs Kampf um die Macht spricht die Opposition vom "Langen Marsch". In einer Rede, die im Fernsehen übertragen wurde, nannte Sharif, Chef der Partei Muslim-Liga, den Hausarrest "illegal". Kurz darauf beeilte sich Pakistans Innenminister Rehman Malik zu erklären, Sharif stehe keineswegs unter Hausarrest; er könne sich frei bewegen.

Doch gleichzeitig wurden Berichte bekannt, nach denen die Polizei auch andere Führer der Opposition, darunter den früheren Kricket-Star Imran Khan, unter Hausarrest gestellt habe. Dessen Mitarbeiter erklärten aber, Khan sei vorher die Flucht gelungen.

Inzwischen ist der Protestzug unterwegs. Die Regierung hat Truppen angefordert, um die Ordnung in Islamabad aufrechtzuerhalten; die Zufahrtsstraßen sind abgeriegelt. Auch am Sonntag versammelten sich Tausende in Islamabad und Lahore, um gegen die Regierung zu protestieren. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Tränengas ein und nahm Dutzende Menschen fest. Innenminister Malik erklärte, die Regierung könne Massendemonstrationen aus Sicherheitsgründen nicht zulassen. "Ich appelliere an alle Pakistaner, sich nicht dem Langen Marsch anzuschließen, denn wir haben glaubhafte Informationen, nach denen die Feinde Pakistans die Lage ausnützen könnten." Gemeint sind damit offenbar radikalislamische Gruppen, mit denen die Armee in den afghanischen Grenzgebieten blutige Gefechte führt.

US-Außenministerin Hillary Clinton und der US-Sondergesandte Richard Holbrooke sowie der britische Außenminister David Miliband und die Botschafter beider Staaten bemühten sich, in der Krise zwischen Zardari und Sharif zu vermitteln. Die USA und Großbritannien fürchten, dass diese Krise Pakistans Kampf gegen den Terror schwächen und einen neuen Militärputsch auslösen könnte. Mehr als die Hälfte seiner 61-jährigen Geschichte ist Pakistan vom Militär regiert worden.

Namentlich die Anwälte, die in Pakistan auch politisch eine Rolle spielen, fordern die Wiedereinsetzung des früheren Obersten Richters Iftikar Chaudhry. Der regimekritische Chaudhry war von Zardaris Amtsvorgänger, dem Militärherrscher Pervez Musharraf, gefeuert worden - wie 60 andere kritische Juristen, darunter 14 der 18 Obersten Bundesrichter. Zardaris Volkspartei (PPP) hatte bei dessen Amtsantritt zugesagt, die Geschassten wieder einzusetzen - was jedoch nicht geschah. Zardari fürchtet, dass diese Richter die umstrittene Amnestie für ihn wegen Korruptionsvorwürfen kippen könnten.

Zardari ist mehrfach der Korruption und der Unterschlagung von Staatsgeldern beschuldigt worden. 1996 wurde er nach der Ermordung seines Schwagers Murtaza Bhutto unter Mordverdacht verhaftet, zu einem Verfahren kam es jedoch nicht.

Kürzlich hat der Zardari zugeneigte Oberste Gerichtshof entschieden, Sharif dürfe kein öffentliches Amt mehr bekleiden - aufgrund von Korruptions- und Machtmissbrauchsvorwürfen aus den 90er-Jahren. Zugleich setzte das Gericht Sharifs Bruder Shabaz als Regierungschef der Provinz Punjab ab.

Die sich dramatisch verschlechternde Sicherheitslage in Pakistan trägt mit bei zur katastrophalen Wirtschaftslage. Die Atommacht Pakistan steht am Rande des Kollaps; im November hatte der Internationale Währungsfonds dem 170-Millionen-Einwohner-Staat mit 7,6 Milliarden Dollar unter die Arme gegriffen. Hinzu kommt die Angst vor einem Militärputsch und von Attentaten radikalislamischer Gruppen. Innenminister Malik gab zu, dass der Abzug von Truppen aus der Grenzregion zu Afghanistan riskant sei, "aber wir haben keine andere Wahl".