Selbst in Kleinstgruppen funktionierte der Unterricht nicht. Wo aber soll der Junge zur Schule gehen, wenn er wieder auftaucht?

Hamburg. Die erlösende Nachricht war auch am Donnerstagabend noch nicht eingetroffen. Wo sich das elfjährige Pflegekind Jeremie aufhält, ist noch immer unklar. Doch die Behörden gehen weiter davon aus, dass er sich in naher Zukunft melden wird. Es gilt als sicher, dass er derzeit bei Verwandten lebt. Was mit dem extrem schwierigen Jungen, dessen drogensüchtige Mutter ihn heroinabhängig zur Welt gebracht hatte, dann geschehen soll, ist ebenfalls unklar. Eines der größten Probleme dabei dürfte es sein, den Jungen zu beschulen.

Denn im Alter von neuen Jahren drückte man ihm den Stempel "unbeschulbar" auf. Die Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle (Rebus) der Schulbehörde in Billstedt versuchte zwar noch, dem Jungen mit einem Projekt für auffällige Grundschüler zu helfen. Jeremie besuchte eine Klasse mit nur fünf weiteren Schülern und wurde von einem multiprofessionellen Team aus Lehrern, Sonder- und Sozialpädagogen nach speziellen Konzepten betreut. Doch letztendlich waren die Probleme - vor allem außerhalb der Schule - so groß, dass das Jugendamt für ihn eine andere Lösung finden musste. Als Jeremie nicht weiter bei seinen Großeltern leben konnte, musste auch der Schulbesuch für den Jungen neu geregelt werden. So kam er zum Neukirchener Erziehungsverein, der ihn in einem Wanderzirkus unterbrachte und per Computer unterrichten ließ.

Für Kinder mit multiplen Problemen einen adäquaten Platz in Hamburg zu finden stellt nach Aussage von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) immer wieder ein Problem für die Jugendämter dar. Deshalb hat er Gespräche mit den Trägern aufgenommen, um mehr Projekte zu schaffen.

In Hamburg gibt es überhaupt nur vier Träger, die Wohngruppen anbieten, in denen gleichzeitig ein spezielles Schulprogramm stattfindet. Sie wären nicht automatisch für Jeremie infrage gekommen. Der Junge hatte mehr Probleme als sein schulisches Verhalten. Aber die Beispiele zeigen, in welche Richtung eine Ausweitung der Angebote gehen könnte.

Das Projekt Comeback der Stiftung Rauhes Haus ist eines davon. Acht Kinder und Jugendliche leben dort in einer Wohngruppe und werden in enger Zusammenarbeit mit der regionalen Rebus-Stelle und der Wichern-Schule unterrichtet. Ziel ist es, die Jugendlichen, die teilweise schon sehr lange keine Schule mehr besuchen, wieder an den Unterricht heranzuführen.

Ein weiteres Projekt bietet der Verein Gangway an. Im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel hat der Träger Pontons auf einem Elbearm zu einem Wohn- und Lernort für besonders schwierige Kinder und Jugendliche eingerichtet. Weit ab von störenden Einflüssen kann dort jeder Schüler, unterstützt durch Lehrer und Pädagogen, an seinen Schwierigkeiten arbeiten. Auch hier ist die Rebus-Stelle der Schulbehörde eng eingebunden.

"Es gibt seit vielen Jahren gemeinsame Angebote", sagt Thomas Juhl, Gesamtleiter der Rebus-Stellen. "Diese waren aber in der Vergangenheit oftmals nicht ausreichend. Es ist daher manchmal sehr schwer gewesen, Kinder und Jugendliche wie Jeremie in geeignete Maßnahmen zu vermitteln."

Das werde durch eine neue Organisation der Rebus-Stellen hoffentlich einfacher. Diese werden zu Regionalen Bildungs- und Beratungszentren ausgebaut. Den Zentren werden zusätzliche Lehrer zugesprochen, die bisher allein für Förderschulen in den Schwerpunkten Lernen und Sprache vorgesehen waren. Dadurch werden die Zentren auch die Hilfe für Schüler mit besonders großen Schulschwierigkeiten erweitern. "Es wird uns noch immer nicht gelingen, für alle Kinder und Jugendlichen Lösungen in Hamburg zu finden", so Juhl. "Aber ich denke schon, dass wir dazu beitragen können, die auswärtige Unterbringung herunterzufahren." "Ich glaube auch, dass es kein Kind auf der Welt gibt, das nicht beschulbar ist", sagt Juhl. Für diese Kinder und Jugendlichen mit massiv herausforderndem Verhalten habe man leider nur noch nicht die richtigen Lernumstände gefunden.